Auferstehung
Reichweite. Die dunkle Schwelle lockte ihn.
» Das ist es, Harry!«, schrie Möbius selbst. » Jedes von ihnen funktioniert!«
»Ich weiß nicht, wo sie hinführen!«, schrie er gellend.
» Viel Glück, Harry!«, riefen Gormley, Hannant und Lane fast gleichzeitig.
Die Pistole in der Hand des größeren Agenten spuckte Feuer und Blei. Harry drehte sich zur Seite und fühlte den heißen Luftzug des Geschosses, als es wütend den Kragen seines Mantels durchschlug. Er sprang nach vorne und trat zu; tiefe Befriedigung erfüllte ihn, als seine Füße krachend im Gesicht und in der Schulterpartie des Mannes landeten. Der Mann stürzte, und seine Waffe fiel klirrend auf den hart gefrorenen Boden. Fluchend und Blut und Zähne spuckend tastete er nach ihr, ergriff sie mit beiden Händen und richtete sich auf.
Aus dem Augenwinkel erspähte Harry einen Durchgang in der Möbiusschleife. Er war so nah, er konnte ihn fast mit seiner Hand berühren. Der Agent brabbelte etwas Unverständliches und schwang seine Pistole in Harrys Richtung. Harry trat sie beiseite, griff den Mann am Ärmel, brachte ihn aus dem Gleichgewicht und wirbelte ihn durch das offene Tor.
Der deutsche Agent war verschwunden. Aus dem Nirgendwo erscholl ein grauenerregender, hallender, langsam abebbender Schrei. Es war der Schrei der Verdammten, einer Seele, die sich auf alle Ewigkeit in der endgültigen Finsternis verloren hatte.
Harry lauschte diesem Schrei und schauderte – aber nur für einen Augenblick. Über diesem verklingenden Schrei hörte er gebrüllte Befehle, das Knirschen rennender Füße auf Kies. Männer kamen an, verschanzten sich hinter Grabsteinen, umzingelten ihn. Er wusste: Falls er die Türen benutzen wollte, musste er es jetzt tun. Der verletzte Agent auf dem Boden hielt eine Waffe in den Händen, die wie Wackelpudding zitterten. Seine Augen waren grotesk aufgerissen, denn er hatte ... etwas gesehen! Er war sich nicht länger sicher, ob er es wagte, den Abzug zu drücken und diesen Mann zu erschießen.
Harry ließ ihm keine Zeit, länger darüber nachzudenken. Er trat ihm die Waffe aus der Hand, hielt für einen Moment inne und betrachtete noch einmal die fantastische Formel vor seinem geistigen Auge. Die rennenden Männer kamen näher; eine pfeifende Kugel traf Funken sprühend auf Marmor.
Vor Möbius’ Grabstein erschien aus dem Nichts ein flackerndes Tor. Das war angemessen, dachte Harry – und hechtete kopfüber darauf zu.
Der angeschlagene ostdeutsche Agent lag auf dem kalten Boden und beobachtete, wie Harry Keogh hindurchsprang, in den Stein hinein verschwand!
Schnaufende Männer kamen schlitternd in einem Menschenknäuel zum Stehen. Alle Waffen streckten sich schussbereit nach vorne. Sie gafften in der Gegend herum, suchten mit eifrigen kalten Augen. Der Agent auf dem Boden deutete mit blutleerem, weißem Gesicht und zitterndem Finger auf das Grab von Möbius. Er war bis ins Mark erschüttert, und kein Wort kam über seine Lippen.
Und der schneidende Wind blies weiter.
Um 16.45 Uhr hatte Dragosani bereits die schlechten Nachrichten erfahren. Harry Keogh lebte; er war nicht festgenommen worden, sondern hatte fliehen können. Wie er diese Flucht bewerkstelligt hatte, war unbekannt. Ein Agent wurde vermisst und war vermutlich tot, ein anderer ernsthaft verletzt. Die Ostdeutschen verlangten Erklärungen. Sie wollten wissen, mit wem oder was sie es zu tun hatten. Sollten sie doch verlangen, was sie wollten – Dragosani wünschte sich, er wüsste, womit er es zu tun hatte!
Jedenfalls musste er sich nun mit dem Problem auseinandersetzten, und die Zeit wurde knapp. Es gab jetzt keinen Zweifel mehr daran, dass Keogh hierherkam – heute Nacht? Wie? Wer konnte das sagen? Wann genau? Auch das war unmöglich zu ermessen. Aber einer Sache war sich Dragosani absolut sicher: Er würde kommen. Ein Mann, der sich gegen eine kleine Armee stellte! Natürlich war sein Vorhaben hoffnungslos – aber Dragosani wusste um die Existenz vieler Dinge, die gewöhnliche Menschen für unmöglich hielten ...
In der Zwischenzeit hatte das Notrufsystem gut funktioniert. Dragosani hatte jetzt alle Leute zur Verfügung, die er verlangt hatte, und noch ein halbes Dutzend mehr. Sie bemannten die Maschinengewehrposten der äußeren Wälle, ähnliche Batterien in den Nebengebäuden, und ebenso die befestigten Bunker, die in die Seiten des Schlosses hineingebaut waren. ESPer ›arbeiteten‹ unten in den Laboratorien, in einer Umgebung, die ihren
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