Auferstehung
seiner eigenen Wichtigkeit. Er war kein ESPer, sondern einfach nur höheres Bodenpersonal. Zu wichtigtuerisch für Dragosanis Geschmack.
»Kommen Sie mit«, sagte Dragosani kalt. »Sie können mir auf dem Weg von Keogh berichten.«
Mit dem Offizier vom Dienst auf den Fersen lief Dragosani in großen Schritten durch die Korridore des Schlosses und erklomm die Treppen zu Borowitz’ privatem Bürokomplex. Der Mann hatte Mühe, Dragosani zu folgen, und sagte: »Etwas langsamer, Genosse, oder ich kriege keine Luft mehr, um Ihnen alles zu erzählen!«
Dragosani ging weiter. »Keogh«, schnappte er über die Schulter. »Wo ist er? Wer hat ihn? Bringen Sie ihn hierher?«
»Niemand hat ihn, Genosse«, schnaufte der andere. »Wir wissen bloß, wo er ist, das ist alles. Er ist in Ostdeutschland, in Leipzig. Er hat am Checkpoint Charlie in Berlin die Grenze überschritten – als Tourist! Anscheinend hat er keinen Versuch unternommen, seine Identität zu verbergen. Sehr eigenartig. Er ist jetzt schon seit drei, vier Tagen in Leipzig. Er scheint die meiste Zeit dort auf einem Friedhof verbracht zu haben. Offensichtlich wartet er auf einen Kontakt.«
»Ach?« Dragosani hielt kurz inne und musterte sein Gegenüber spöttisch. »Offensichtlich, sagen Sie? Dann lassen Sie mich Ihnen sagen, Genosse, dass an dem Kerl nichts offensichtlich ist! Jetzt kommen Sie schnell in mein Büro und ich gebe Ihnen einige Anweisungen.«
Einen Augenblick später folgte der OvD Dragosani in das Vorzimmer zu Borowitz’ Suite. »Ihr Büro?«, keuchte er.
Hinter dem Schreibtisch blickte Borowitz’ Sekretär, ein junger Mann mit dicken Brillengläsern, schmalen Augenbrauen und einem vorzeitig zurückweichenden Haaransatz erstaunt auf.
Dragosani wies mit seinem Daumen in Richtung offene Tür. »Sie – raus! Warten Sie draußen. Ich rufe Sie, wenn ich Sie brauche.«
»Wie bitte?« Verwirrt stand der Mann auf. »Genosse Dragosani, ich muss protestieren! Ich ...«
Dragosani beugte sich über den Schreibtisch, packte den Mann an der linken Wange und zog ihn, wild Schreibgeräte verstreuend, über die Tischplatte. Unter einem Schwall erstickter, gequälter Protestrufe wirbelte er ihn in Richtung offene Tür. »Protestieren Sie bei Gregor Borowitz, wenn Sie ihn das nächste Mal sehen«, blaffte er. »Bis dahin gehorchen Sie meinen Befehlen, oder ich lasse Sie abknallen!«
Er lief in Borowitz’ altes Büro hinein, der OvD folgte ihm zitternd.
Ohne Zögern ließ sich Dragosani in Borowitz’ Sessel hinter dem Schreibtisch sinken und sah den OvD an. »Also jetzt, wer beobachtet Keogh?«
Gelähmt vor Furcht stotterte der OvD eine Weile, bevor er sich beruhigte. »Ich ... wir ... die GREPO«, brachte er schließlich zustande. »Die ostdeutsche Grenzpolizei.«
»Ja, ja – ich weiß, was die GREPO ist«, schnappte Dragosani genervt. Dann nickte er. »Gut! Die sind sehr effizient, habe ich gehört. Hier sind also meine Befehle – in Vertretung von Gregor Borowitz. Man soll Keogh festnehmen, lebend, falls möglich. Das habe ich letzte Nacht schon befohlen, und ich hasse es, mich wiederholen zu müssen.«
»Aber es gibt keinen Haftbefehl, Genosse Dragosani«, erklärte der OvD. »Er steht auf keiner Liste, und bis jetzt hat er sich nichts zu Schulden kommen lassen.«
»Die Anklage ist ... Mord«, sagte Dragosani. »Er hat einen unserer Agenten, einen Schläfer, in England ermordet. Er wird auf jeden Fall festgesetzt. Falls das zu schwierig ist, lautet der Befehl, ihn zu erschießen! Auch das habe ich letzte Nacht schon angeordnet.«
Der OvD spürte, dass der Vorwurf ihm persönlich galt. Er hatte das Gefühl, sich entschuldigen zu müssen: »Aber das sind Deutsche, Genosse«, sagte er. »Einige von denen möchten gerne noch glauben, dass sie sich selbst regieren, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Nein«, antwortete Dragosani, »ich habe keine Ahnung, was Sie meinen. Nehmen Sie das Telefon gegenüber. Verbinden Sie mich mit der Kommandozentrale der GREPO in Berlin. Ich werde mit denen sprechen.«
Der OvD stand wie vom Donner gerührt da.
»Jetzt!«, fauchte Dragosani. Und als der Mann nach draußen stürzte, rief er ihm hinterher: »Und schicken Sie den Dämlack von draußen rein!«
Als Borowitz’ Sekretär eintrat, sagte Dragosani: »Setzen. Und zuhören. Bis der Genosse General zurückkommt, habe ich hier das Sagen. Was wissen Sie darüber, wie dieser Ort funktioniert?«
»Fast alles, Genosse Dragosani«, antwortete der Sekretär bleich
Weitere Kostenlose Bücher