Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auferstehung

Auferstehung

Titel: Auferstehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Lumley
Vom Netzwerk:
Dinge geschahen jedoch nur am Rand seines Bewusstseins und waren wenig mehr als Hintergrunduntermalung. Er war sich dieser Dinge kaum bewusst, ebenso wenig wie des hämmernden Herzens in seiner Brust – es schlug zu schnell und zu laut für den Mathematikunterricht an einem sonnigen Dienstagnachmittag im August. Die wirkliche Welt war da, keine Frage, so real wie der gelegentliche Windhauch, der durch das Fenster wehte und seine Wange streifte, und doch rang Harry nach Luft wie ein Mann, der am Ertrinken ist. Oder eine Frau.
    Und die Sonne konnte ihn dort unter dem Eis nicht wärmen, und das Summen der Wespe ging fast völlig unter im Gurgeln und Schwappen des Eiswassers und im Strom von Luftblasen, die aus seiner Nase und dem in stummem Schrei verzerrten Mund drangen!
    Unter ihm war die Finsternis, gefrorener Schlamm und Algen; und darüber ...
    Eine Decke aus Eis, mehrere Zentimeter dick, und irgendwo ein Loch, durch das er (sie?) gefallen war, aber wo? Kämpfe gegen die Strömung des Flusses! Schwimm, schwimm! Denk an Harry, den kleinen Harry. Für ihn musst du leben. Um seinetwillen. Für Harry ...
    Dort! Dort! Das Loch, Gott sei Dank – oh, Gott sei Dank! Die eisigen Ränder des Loches waren scharf wie Glas. Wie vom Himmel gesandt, kamen Hände ins Wasser, die sich äußerst langsam bewegten – fast schon in Zeitlupe – fürchterlich träge! Starke, behaarte Hände.
    Ein Ring am Mittelfinger der rechten Hand. Ein Katzenauge in dickem Gold. Ein Männerring.
    Da oben war sein Gesicht zu sehen, ganz verschwommen hinter der welligen Wasseroberfläche. Und durch das Eis konnte er den Umriss der am Rand des Lochs knienden Gestalt erkennen. Greif nach seinen Händen, den starken Händen, und er wird dich wie ein Baby hochziehen. Er wird dich schütteln, bis du trocken bist, weil du ihm einen solchen Schrecken eingejagt hast.
    Kämpfe gegen die Strömung – greif nach den Händen – schwimm gegen den reißenden Fluss. Kämpfe, kämpfe! Kämpfe für Harry ...
    Jetzt! Du hast die Hände erwischt! Halt dich fest!
    Versuch, deinen Kopf aus dem Loch zu stecken und atme, atme! Aber ... die Hände drücken dich nach unten!
    Durchs Wasser siehst du das Gesicht, wie es sich ständig verändert. Die zittrigen Lippen verziehen sich zu einem Lächeln – oder einer Grimasse! Du kämpfst weiter. Du schreist – und das Wasser strömt in deine Lungen, um die entfliehende Luft zu ersetzen.
    Halt dich am Eis fest. Vergiss die Hände, die grausamen Hände, die dich noch immer niederdrücken. Greif nach dem Rand und streck deinen Kopf heraus. Doch die Hände sind da und lösen deinen Griff. Sie stoßen dich weg, unters Eis. Sie ermorden dich!
    Du kannst nicht gegen die Kälte und den Fluss und die Hände ankämpfen. Schwärze rast auf dich zu. In deine Lungen, in deinen Kopf, in deine Augen. Kratz mit deinen langen Fingernägeln an diesen Händen, reiß ihnen das Fleisch von den Knochen.
    Der Goldring löst sich, schwebt in einer Spirale hinab in den Schlamm. Blut färbt das Wasser rot – ein roter Hintergrund für das endgültige Schwarz deines Todes –, Blut von den grausamen, grausamen Händen.
    Der Kampf ist vorbei.
    Mit Wasser vollgesogen sinkst du hinab. Die Strömung zieht dich zu Boden, lässt dich taumeln. Doch es ist dir jetzt gleich. Alles ist dir gleich, außer ... Harry. Armer, kleiner Harry! Wer kümmert sich nun um ihn? Wer wird nach Harry sehen ... Harry ... Harry ... ?
    »Harry? Harry Keogh? Meine Güte, Junge – bist du überhaupt anwesend?«
    Harry spürte, wie der Ellbogen seines Kumpels Jimmy Collins sich unauffällig, aber fest in seine Rippen grub. Erschrocken schnappte er nach Luft. Er hörte, wie die krächzende Stimme Mr Hannants sich über das zurückweichende Getöse des Wassers erhob. Er richtete sich ruckartig auf seinem Stuhl auf, schnappte noch einmal nach Luft und hob dummerweise die Hand, als wollte er auf irgendeine Frage antworten. Das war eine ganz automatische Reaktion: War man nur schnell genug, erkannte der Lehrer, dass man die Antwort wusste und fragte einen anderen. Nur funktionierte das nicht immer, die Lehrer fielen nicht jedes Mal darauf herein. Und Hannant, der Mathelehrer, ließ sich von niemandem zum Narren halten.
    Jetzt waren das Gefühl des Ertrinkens und die bittere Kälte des Wassers fort. Die gnadenlosen, unmenschlichen Hände quälten ihn nicht länger – der Albtraum, oder genauer gesagt, der Tagtraum, war vorbei.
    Im Vergleich dazu war die neue Situation bloß eine

Weitere Kostenlose Bücher