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Auferstehung

Auferstehung

Titel: Auferstehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Lumley
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befand sich direkt nebenan. Die erste Prüfung hatte in Englisch stattgefunden, und danach hatte Keogh still seinen Tee getrunken und bleich in den Regen vor dem Fenster gestarrt. Nun war er halbwegs mit der Matheprüfung durch – oder sollte es zumindest sein. Das war eine rein akademische Frage.
    Harmon hatte ihn beobachtet. Der Stift des Jungen hatte kaum den Fragebogen berührt; oder nur dann, wenn der Rektor mit seiner eigenen Arbeit beschäftigt war. Der Junge hatte sich in der ersten Stunde wirklich ins Zeug gelegt: Die Englischprüfung hatte ihn anscheinend interessiert; er hatte häufig die Stirn gerunzelt und an seinem Stift gekaut, hatte geschrieben und wieder umgeschrieben – er war sogar noch damit beschäftigt gewesen, als Harmon das Ende der Stunde verkündet hatte –, doch der Mathetest schien ihn zu verblüffen. Er machte gelegentlich einen sporadischen Versuch, das musste Harmon ihm lassen (und jetzt kritzelte er auch schon wieder etwas hin), doch nach ein oder zwei Augenblicken lehnte er sich wieder zurück und starrte bleich und stumm aus dem Fenster, als wäre er erschöpft.
    Dann schien er einen Geistesblitz zu haben, blickte auf die nächste Aufgabe und kritzelte in wahnwitzigem Tempo, als hätte er eine Eingebung, bevor er wieder erschöpft innehielt, und so weiter.
    Harmon konnte die Anspannung oder Furcht des Jungen gut verstehen, denn die Aufgaben waren sehr schwer. Es gab sechs davon, und jede von ihnen würde normalerweise mindestens eine Viertelstunde in Anspruch nehmen – und das auch nur, wenn die Begabung des Jungen seinem Alter und dem Bildungsniveau an der Harden Modern School weit voraus war.
    Harmon konnte nicht verstehen, warum er sich überhaupt die Mühe machte, sich das Papier wieder und wieder wütend vorzunehmen, nur um sich jedes Mal nach kurzer Zeit frustriert und müde zurückzulehnen. War ihm denn nicht klar, dass er nicht gewinnen konnte? Woran dachte er, wenn er aus dem Fenster blickte? Wo war er, wenn sein Gesicht diesen reglosen, fast leeren Ausdruck annahm?
    Vielleicht sollte Harmon dem jetzt ein Ende machen. Ganz offensichtlich erreichte der Kerl doch nichts ...
    Die Matheprüfung dauerte nun schon (der Rektor warf einen Blick auf die Uhr) fünfunddreißig Minuten. Als der Junge sich wieder einmal aufsetzte, die Arme baumeln ließ und die Augen hinter seinen Brillengläsern halb schloss, stand Harmon leise auf und näherte sich ihm von hinten. Draußen rüttelte der Wind an den Fensterscheiben; im Zimmer tickte eine alte Uhr an der Wand und akzentuierte den Atem des Schulleiters. Er spähte über Keoghs Schulter und wusste nicht genau, was er erwartete.
    Sein Blick erstarrte. Er blinzelte ein-, zweimal und riss die Augen auf. Seine Brauen zogen sich zusammen, als er den Hals reckte, um besser zu sehen.
    Wenn Keogh sein erstauntes Luftholen gehört hatte, dann ließ er sich nichts anmerken. Er blieb sitzen und sah weiterhin einfältig den Regenströmen am Fenster zu.
    Harmon trat von dem Jungen zurück, drehte sich um und setzte sich wieder hinter seinen Schreibtisch. Er öffnete eine Schublade, hielt den Atem an und entnahm ihr die Lösungen der Matheprüfung. Keogh hatte die Fragen nicht nur beantwortet, er hatte sie auch richtig gelöst! Alle! Dieser letzte Ausbruch von Arbeitswut hatte der sechsten und abschließenden Aufgabe gegolten. Zudem hatte er diese Leistung mit einem Minimum an Vorarbeit und ohne die Anwendung der bekannten Formeln erbracht.
    Schließlich holte der Schulleiter tief Luft, glotzte noch einmal auf die gedruckten Lösungen in seiner Hand, die Unmengen von komplizierten Berechnungen erforderten, legte sie dann sorgsam in die Schublade zurück und schloss diese. Er konnte es kaum glauben. Hätte er nicht während der ganzen Prüfung hier gesessen, so hätte er geschworen, dass der Junge gespickt hatte. Doch das war eindeutig nicht der Fall. Was also hatte Harmon hier vor sich?
    »Intuitiv«, so hatte Howard Jamieson den Jungen bezeichnet, »ein intuitiver Mathematiker.« Nun gut, Harmon würde sehen, wie gut diese Intuition dem Jungen beim nächsten Test helfen würde. In der Zwischenzeit –
    Der Rektor rieb sich das Kinn und starrte nachdenklich auf den Hinterkopf des Jungen. Er würde sich länger mit Jamieson und dem jungen George Hannant (der offenbar Jamiesons Aufmerksamkeit auf den Jungen gelenkt hatte) unterhalten müssen. Es war noch sehr früh dafür, aber ... Intuition? Für Harmon schien ein anderes Wort besser auf Keogh zu

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