Auferstehung
Wesenheiten schwirrten um ihn herum, tauchten aus dem Nichts auf – Gespenster, die Dragosanis Gesicht betasteten, als wollten sie sich seiner Identität versichern. Er schauderte und sagte: »Ja, ich bin’s. Und ich habe dir etwas mitgebracht. Ein Geschenk.«
Ach? Und was ist das? Und was willst du dafür von mir haben?
Dragosani war ungeduldig und gab sich keine Mühe, das zu verbergen. »Das Geschenk ist nur ... ein mickriger Tribut. Du sollst es später bekommen, bevor ich gehe. Zunächst wollte ich dir etwas sagen:
Ich habe hier oft mit dir geredet, alter Drache – und doch hast du mir kaum etwas verraten. Ich will damit nicht sagen, du hättest mich getäuscht oder in die Irre geführt, nur habe ich sehr wenig von dir erfahren. Das mag sehr wohl mein eigener Fehler sein, weil ich vielleicht nicht die richtigen Fragen gestellt habe, aber auf jeden Fall möchte ich das richtigstellen. Du weißt, dass es Dinge gibt, die ich wissen will. Es gab eine Zeit, da du ... mächtig warst! Ich vermute, dass du viel davon bewahrt hast, worüber ich nichts weiß.«
Macht? Oh ja – viel Macht. Große Macht ...
»Ich möchte das Geheimnis dieser Macht erfahren. Ich möchte diese Macht besitzen. Ich möchte alles wissen, was du einst wusstest und jetzt weißt.«
Kurzum: du wünschst ... Wamphyri zu sein! Das Wort und die Art und Weise, wie es in seinem Geist ausgesprochen wurde, ließen Dragosani unweigerlich erschaudern. Selbst er, Dragosani, der Nekromant und Erforscher der Toten, fühlte diese sonderbare Ehrfurcht, als enthalte das Wort selbst etwas von der merkwürdigen Natur der Wesen, die es bezeichnete. »Wamphyri ...«, wiederholte er, und dann: »Hier in Rumänien«, fuhr er rasch fort, »gab es schon immer Legenden, und in den letzten hundert Jahren sind sie auch ins Ausland gedrungen. Ich selbst weiß schon seit vielen Jahren, was du bist, alter Teufel. Hier nennt man dich vampyr, und im Westen heißt du Vampir. Dort bist du ein Geschöpf aus Geschichten, die man sich nachts am Kamin erzählt, um die Kinder ins Bett zu jagen und düstere Fantasien anzuregen. Aber jetzt will ich von dir wissen, was du wirklich bist. Ich will Tatsachen von Erfundenem trennen. Ich möchte die Lügen aus den Legenden entfernen.«
Er spürte ein mentales Achselzucken. Dann, um es zu wiederholen, musst du Wamphyri werden. Es gibt keinen anderen Weg, alles zu erfahren.
»Aber du hast doch eine Geschichte«, beharrte Dragosani. »Seit fünfhundert Jahren liegst du hier – ja, das weiß ich –, doch was ist mit den fünfhundert Jahren, bevor du gestorben bist?«
Gestorben? Aber ich bin nicht gestorben. Sie hätten mich ermorden können, das lag in ihrer Macht. Doch sie wählten einen anderen Weg. Die Strafe, die sie wählten, war weitaus härter. Sie begruben mich einfach hier, untot! Doch abgesehen davon ... willst du wirklich meine Geschichte erfahren?
»Ja!«
Es ist eine sehr lange und blutige Geschichte. Sie wird viel Zeit in Anspruch nehmen.
»Wir haben Zeit, unendlich viel«, sagte Dragosani – doch er spürte die Unruhe, die Frustration der unsichtbaren Wesenheiten. Es war, als warnte ihn etwas, das Schicksal nicht zu sehr herauszufordern. Es widersprach dem Wesen des Untoten, sich zu etwas drängen zu lassen.
Ich kann dir einen Teil meiner Geschichte erzählen, ja. Ich kann dir erzählen, was ich getan habe, aber nicht, wie es geschah. Es lässt sich nicht in Worte fassen. Die Kenntnis meiner Herkunft, meiner Wurzeln, wird dir nicht dabei helfen, einer der Wamphyri zu sein oder sie gar zu verstehen. Ich kann ebenso wenig erklären, was es heißt, Wamphyri zu sein, wie ein Fisch erklären könnte, was es heißt, ein Fisch zu sein – oder ein Vogel, was es heißt, ein Vogel zu sein. Wenn du versuchen würdest, ein Fisch zu sein, würdest du ertrinken. Spring wie ein Vogel von einer Klippe, und du wirst abstürzen und dir das Genick brechen. Und wenn das Wesen solch einfacher Geschöpfe schon so unerklärlich ist, wie viel mehr gilt das für die Wamphyri!
»Werde ich dann nie etwas über dein Wesen erfahren?« Dragosani wurde langsam zornig. Er schüttelte den Kopf. »Nichts über deine Macht? Ich kann das nicht glauben. Du hast mich gelehrt, mit den Toten zu sprechen, warum also kannst du mir den Rest nicht beibringen?«
Ah! Nein, du täuschst dich, Dragosani. Ich habe dich gelehrt, ein Nekromant zu sein, was eine menschliche Gabe ist. Eine vergessene Kunst der Menschen, zweifelsohne, doch trotzdem ist die
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