Auferstehung
mächtig!«
Ach? Was du nicht sagst. Nun, du musst mir diese neue Welt detaillierter beschreiben – doch ein andermal. Jetzt bin ich erschöpft, und ...
»Nicht so schnell!«, rief Dragosani, der sich bewusst war, dass die Unterhaltung vom Thema abgekommen war. »Heißt das nun, dass ich nicht zum Vampir werde, wenn du mich beißt? Heißt das, dass diese Legende keinen wahren Kern hat außer dieser vermuteten Verbindung zu den Vampirfledermäusen? Das nehme ich dir nicht ab, alter Teufel! Nein, denn die Fledermaus wurde nach dir benannt, und nicht umgekehrt!«
Wieder eine Pause – doch nicht lange genug, um dem andern Zeit zu lassen, das zu überdenken, was er gesagt hatte –, und Dragosani fuhr rasch fort: »Du hast mich gefragt, ob ich wünsche, einer der Wamphyri zu werden. Wie könntest du mich zu einem Wamphyri machen, wenn nicht so? Kann man mich ›aufnehmen‹, so wie du in den Drachenorden aufgenommen wurdest? Ha! Keine Lügen mehr, du alter Teufel. Ich will nur die Wahrheit. Und wenn du wirklich mein Vater bist, warum sagst du mir dann nicht die Wahrheit? Wovor fürchtest du dich?«
Dragosani spürte die Missbilligung der unsichtbaren Wesenheiten, fühlte, wie sie sich von ihm zurückzogen. In seinem Kopf klang die Stimme aus dem Grab jetzt tatsächlich erschöpft – und vorwurfsvoll.
Du hast mir ein Geschenk versprochen, einen kleinen Tribut, und gebracht hast du mir nur Verdruss und Last. Ich bin ein kleiner Funke, mein Sohn, ein Glimmen, das erlischt. Du hast die unstete Flamme am Leben gehalten, und jetzt möchtest du sie austreten? Lass mich jetzt schlafen, wenn du mich ... nicht völlig ... erschöpfen willst ... Dragosani ...
Boris Dragosani biss die Zähne zusammen und knurrte seine Enttäuschung in sich hinein. Dann nahm er das Ferkel bei den Hinterbeinen, stand auf, zog sein Taschenmesser hervor und ließ es aufspringen. Die Klinge glänzte scharf wie ein Rasiermesser. »Dein Geschenk!«, sagte er schnippisch.
Das Ferkel strampelte und quiekte einmal. Dragosani schnitt ihm die Kehle durch, ließ das scharlachrote Blut herausspritzen und auf die dunkle Erde tropfen.
Sofort kam ein Wind auf, der in den Tannen mit einer Stimme seufzte, die der des Dings im Boden ähnelte: Ahhh!
Dragosani warf die Ferkelleiche in das Gewirr der Wurzeln, trat zurück und säuberte sich mit einem Taschentuch die Hände. Die unsichtbaren Wesenheiten krochen wieder hervor.
»Zurück!«, keifte Dragosani, der sich zum Gehen wandte. »Zurück, ihr Menschengeister. Das ist für ihn, nicht für euch.« Obwohl er in völliger Finsternis durch die Tannen bergab lief, war Dragosanis Schritt so sicher wie der einer Katze. Auf seine Art war auch er ein Geschöpf der Nacht. Aber ein lebendes. Und während er über Leben, Tod und Untod nachdachte, lächelte er gefühllos in die Dunkelheit hinein. Es tauchte wieder jene Frage auf, die er sich nicht zu fragen getraut hatte: Wie tötet man einen Vampir, wie kann man ihn umbringen?
Er hatte dem Ding in der Erde diese Frage nicht gestellt – nicht an diesem Ort während der Stunden der Finsternis. Denn wer konnte schon abschätzen, welche Reaktion diese Frage hervorrief? Es könnte tatsächlich eine sehr gefährliche Frage sein.
Wie dem auch sei, Dragosani glaubte, die Antwort ohnehin schon zu kennen.
Der nächste Tag war ein Donnerstag. Dragosani hatte nur sehr wenig geschlafen und stand früh auf. Als er aus dem Fenster blickte, sah er Ilse Kinkovsi. Sie fütterte die Hühner am Rand der Landstraße. Aus den Augenwinkeln nahm sie die Bewegung am Fenster wahr und wandte ihm ihr Gesicht zu.
Dragosani hatte die Fenster weit geöffnet und atmete tief die Morgenluft ein. Er lehnte sich auf das Fensterbrett ins Licht, und seine Haut war fahl wie Schnee. Ilse betrachtete seine nackte Brust. Wenn er einatmete, schwollen seine Muskeln beträchtlich an. Seine schmale Gestalt täuschte. Sie vermutete, dass er sehr stark war. »Guten Morgen!«, rief sie hinauf.
Er nickte als Antwort, und während er sie anblickte, wusste er, warum er so schlecht geschlafen hatte. Sie war der Grund ...
»Fühlt sich das gut an?«, fragte sie und strich mit der Zunge über ihre weißen Zähne.
»Was?« Wieder ging er in die Defensive – und schimpfte sich auf der Stelle ein unreifes Kind. Ja, du, Dragosani!
»Die Luft auf Ihrer Haut. Fühlt sich das gut an? Aber sehen Sie sich doch an, Sie sind so blass! Sie könnten auch ein wenig Sonnenlicht vertragen, Herr Dragosani.«
»Ja, da könnten
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