Auferstehung
kichernde junge Mädchen, deren Sinnlichkeit etwas frühreif erschien – aber sonst waren sie nicht weiter merkwürdig. Doch die Einstellung seines Vaters ihnen gegenüber hatte den Eindruck erweckt, dass seine Tante so etwas wie ein schwarzes Schaf wäre, zumindest aber eine Frau mit einem schrecklichen Geheimnis.
Während der drei Wochen im Sommer, die er mit ihr und ihren frühreifen Töchtern verbrachte, entdeckte Boris alles, was er seiner Meinung nach wissen musste, über ihre ›Sonderbarkeit‹, über Sex und das abartige Wesen der Frauen. Seine Erlebnisse hatten ihn all die Jahre von jeder sexuellen Betätigung abgehalten – bis heute. Seine Tante war schlicht und ergreifend eine Nymphomanin. Nachdem der Tod ihres Gatten ihr vor Kurzem die Freiheit zurückgegeben hatte, lebte sie nun ihre sexuelle Besessenheit aus, und ihre Töchter waren offenbar aus dem gleichen Holz geschnitzt. Selbst zu Lebzeiten ihres kränklichen Ehemanns war sie für ihre Liebhaber berüchtigt gewesen. Gerüchte über ihre Affären waren bis zu ihrem Bruder aufs Land gedrungen, der darauf mit Groll reagierte. Er selbst war alles andere als prüde, doch er hielt sie schlicht und ergreifend für eine Hure.
Wie weit sie bei ihren Ausschweifungen gegangen war, entzog sich der Kenntnis ihres Bruders, da er mittlerweile fast jeden Kontakt abgebrochen hatte. Hätte er es gewusst, so hätte er seinen Jungen nicht dort hingeschickt; doch sein Adoptivsohn war schließlich noch ein Kind, das mit der Lasterhaftigkeit der Frauen nichts zu schaffen hatte.
Boris hatte von alldem nichts gewusst. Sehr bald fand er aber einiges heraus: So gab es keine Schlösser an den Türen im Hause seiner Tante. Weder in Schlaf- noch in Badezimmertüren steckte ein Schlüssel, nicht einmal in der Toilettentür. Tante Hildegard hatte erklärt, dass es hier keine geheimen Orte gäbe; Heimlichtuerei wurde ganz allgemein nicht geduldet. Deshalb konnte Boris nicht verstehen, wieso Mutter und Töchter sich in seiner Anwesenheit oftmals verstohlene Blicke zuwarfen.
Was die Privatsphäre betraf: So etwas war nicht vonnöten an einem Ort, wo nichts verboten war, wo nichts Argwohn erregte. Als er seine Tante danach fragte, erklärte sie ihm, dass dies ein ›Haus der Natur‹ sei, wo der menschliche Körper und seine Funktionen als etwas betrachtet würden, das die Natur uns geschenkt habe, damit wir ›erforschen, entdecken, begreifen und genießen, ohne konventionelle Beschränkungen‹. Sofern er das Haus und das Eigentum seiner Gastgeberin achtete, gab es hier nichts, was er nicht tun könne und dürfe; doch gleichermaßen müsse er das ›natürliche‹ Verhalten der weiblichen Bewohner des Hauses respektieren, deren Lebensgestaltung völlig offen und uneingeschränkt sei. Tante Hildegard fand, dass es zu wenig Liebe in der Welt gab und zu viel Hass. Wenn man die Begierden des Fleisches und das Feuer der Seele in lustvollen Umarmungen und nicht im Krieg stillen könne, dann wäre dies gewiss eine bessere Welt. Vielleicht werde Boris das nicht sofort verstehen, doch war seine Tante sicher, dass sich das sehr bald ändern werde ...
Am ersten Abend wollte Boris nach einem frühen Abendbrot auf sein Zimmer gehen, um zu lesen. Er hatte einige seiner Bücher aus der Schule mitgebracht, doch am Fuß der Treppe, die zu seinem Zimmer führte, befand sich ein winziger Raum, den seine Tante als ›Bibliothek‹ ausgestattet hatte. Als er den Raum betrat, entdeckte er, dass die Regale voller erotischer Literatur standen. Die bebilderte Bände über sexuelle Perversionen und Abnormitäten faszinierten ihn so sehr, dass er einige davon mit nach oben nahm. Etwas Derartiges hatte er noch nie gesehen, auch nicht in der umfangreichen Schulbücherei.
Auf seinem Zimmer versank er sehr bald in eines der Bücher. Der Autor gab vor, wahre Begebenheiten zu schildern, doch Boris erschienen sie so unwahrscheinlich, dass er sie für einen Schwindel hielt, das Werk einer blühenden Fantasie. Wie es wohl jedem Jungen seines Alters ergangen wäre, war er bald sehr erregt. Selbstbefriedigung war Boris nicht unbekannt – er erleichterte sich von Zeit zu Zeit auf diese Art –, doch hier im Hause seiner Tante fühlte er sich dazu nicht sicher und ungestört genug. Um weitere Frustration zu vermeiden, brachte er die Bücher wieder zurück in die Bibliothek.
Schon beim Lesen hatte er gehört, wie ein Auto vorm Haus hielt und ein Besucher, der bei den Bewohnern des Hauses offenbar sehr beliebt
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