Auferstehung
verfluchte er seine Dummheit und machte sich wieder einmal auf, das Fenster zu schließen, als –
Dort unten im mondbeschienenen Hof bewegte sich eine dunkle und schlanke Gestalt wie ein Schatten unter Schatten – Ilse Kinkovsis Schlafzimmerfenster stand ein wenig offen, und sie schien ihn von unten mit wissenden Augen anzulächeln. Sie kam!
Gott, wie Dragosani jetzt den Alten brauchte! Und wie er ihn gleichzeitig fürchtete. Brauchte er ihn denn wirklich? Oder würde er wagen, es ohne ihn zu tun?
Freudige Erregung und Schrecken rangen ihn ihm um die Vorherrschaft. Die Panik wurde nicht allein durch die Verabredung oder deren Zweck ausgelöst, sondern eher durch sein mangelndes Zutrauen in die eigene Fähigkeit, diesen Zweck zu erfüllen. Er war ein Mann, ja, aber in diesen Dingen war er immer noch ein Junge. Das einzige Fleisch, das er kannte, dem er Geheimnisse entlockt hatte, war kalt und tot und willenlos. Doch dieses hier war lebendig und heiß und nur allzu willig!
Der Widerwillen in ihm nahm zu, durchflutete ihn wie eine Welle. Er war ein Junge gewesen, nur ein Junge ... in ungeheuerlicher Abfolge füllten Bilder seinen Kopf, die er für vergessen, ausgelöscht gehalten hatte ... der Besuch im Haus der Tante ... seine Cousinen ... dieses Tier, von dem er wusste, dass es nur ein brünstiger Mann gewesen war! Gott, das war ein Albtraum gewesen!
Und sollte es wieder so werden? Diesmal er anstelle des lüsternen, sabbernden Ungeheuers? Unmöglich! Das konnte er einfach nicht!
Er hörte das Knarren einer Stufe im Treppenhaus, stürzte ans Fenster und starrte entsetzt in die Nacht. Noch ein Knarren, näher diesmal, ließ ihn zum Lichtschalter eilen. Sie war dort draußen, auf dem Absatz, und trat an seine Tür!
Ein Windstoß drang seufzend ins Zimmer, ließ die Vorhänge wehen und traf Dragosani ins Herz. Sofort waren alle Furcht und alle Unsicherheit dahin. Er trat aus dem Mondlicht in den Schatten und wartete.
Die Tür öffnete sich leise, und sie trat ein. Im Mondlicht war das graue, schleierähnliche Gewand, das sie trug, fast durchsichtig. Sie schloss die Tür hinter sich und bewegte sich aufs Bett zu.
»Herr Dragosani?«, fragte sie, wobei ihre Stimme nur ein wenig zitterte.
»Ich bin hier«, antwortete er aus dem Schatten.
Sie hörte ihn, sah aber nicht in seine Richtung. »Also habe ich mich in Ihnen getäuscht«, sagte sie, hob die Arme und zog das Nachthemd aus. Brüste und Hintern schimmerten wie Marmor, als der Mond sie liebkoste.
»Jaaa«, flüsterte er und trat vor.
»Also«, wandte sie sich zu ihm, »hier bin ich!«
Sie stand da wie ein milchfarbenes Standbild, und ihr Blick war nicht der eines unschuldigen Mädchens. Dragosani trat wie eine dunkle Silhouette vor und streckte die Arme nach ihr aus. Im Tageslicht hatte sie seine Augen für wässrig blau gehalten – das sanfte, fast weibliche Blau eines Schauspielers –, doch nun ... Die Nacht stand ihm. In der Nacht waren seine Augen wild – wie jene eines großen Wolfes. Und erst als er sie aufs Bett warf, spürte sie einen ersten Zweifel im Hinterkopf. Seine Kraft war – gewaltig!
»Ich habe mich ganz enorm in Ihnen getäuscht«, sagte sie.
»Ahhh!«, sagte Dragosani.
Am nächsten Morgen bestellte Dragosani sehr zeitig sein Frühstück. Er nahm es auf dem Zimmer ein, wo Hzak Kinkovsi ihn lebhafter vorfand, als er es je für möglich gehalten hätte. Die Landluft musste ihm wirklich gut bekommen. Ilse wiederum war nicht so glücklich.
Dragosani musste nicht groß nachfragen; ihr Vater brummte laut vor sich hin, als er mit einem Tablett hereinkam und ein reichliches Frühstück servierte. »Diese Frau«, sagte er, »meine Ilse, sie ist ein gutes und starkes Mädchen – oder sollte es zumindest sein. Doch seit ihrer Operation ...« Er zuckte die Achseln.
»Operation?« Dragosani versuchte, nicht allzu interessiert zu wirken.
»Ja, vor sechs Jahren. Krebs. Sehr schlimm für ein junges Mädchen. Ihre Gebärmutter. Die haben sie entfernt. Das ist gut, sie lebt. Aber dies ist eine bäuerliche Gegend. Ein Mann will eine Frau, die ihm Kinder schenkt, verstehen Sie? Also wird sie womöglich als alte Jungfer enden. Vielleicht sucht sie sich aber auch eine Arbeit in der Stadt. Dort sind starke Söhne nicht so wichtig.«
Das war möglicherweise eine Erklärung. »Ich verstehe«, nickte Dragosani, um dann vorsichtig hinzuzufügen: »Aber heute Morgen ...?«
»Manchmal fühlt sie sich nicht gut, auch heute noch. Nicht sehr oft. Aber
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