Auferstehung
hast eben alles aufgebraucht.«
Schon besser. Er war wieder über seine dunkle Phase hinweg. Das war Brendas Bezeichnung dafür, wenn Harry auf seine ganz eigene Art vage und seltsam war: seine ›dunkle Phase‹. Sie ging darauf ein, rümpfte scherzhaft die Nase und war dankbar für seinen Witz. »Achthundertelf Mal«, wiederholte sie, »in nur drei Jahren! Das ist eine ganze Menge. Weißt du, wie lange wir schon miteinander gehen?«
»Seit wir Kinder sind«, antwortete er. Seine Augen wandten sich wieder zum Himmel, und sie konnte sehen, dass er sich nur halb für das interessierte, was sie sagte. In seinem Kopf geisterte etwas herum, lauerte am Rande seines Bewusstseins. Das wusste sie aus Erfahrung. Vielleicht würde sie eines Tages erfahren, was es war. Jetzt wusste sie nur, dass es kam und ging, und diesmal schien es sich Zeit zu lassen.
»Aber wie lange? «, beharrte sie. Sie umfasste sein Kinn mit ihrer zarten Hand und drehte sein Gesicht in ihre Richtung.
Er starrte sie mit leeren Augen an und ließ den Blick schweifen. »Wie lange? Vier oder fünf Jahre, nehme ich an.«
»Sechs«, sagte sie. »Du warst zwölf und ich elf. Du hast mich ins Kino eingeladen und meine Hand gehalten.«
»Na bitte«, sagte er und strengte sich an, wieder auf den Boden der Tatsachen zu kommen. »Und du hast mir gerade vorgeworfen, unromantisch zu sein.«
»Ach?«, sagte sie. »Aber ich gehe jede Wette ein, dass du dich nicht an den Film erinnern kannst. Es war Psycho. Ich weiß nicht mehr, wer von uns mehr Angst hatte!«
»Ich«, grinste er.
»Später«, fuhr sie fort, »als du dreizehn warst, haben wir ein Picknick auf dem Feld bei Ellison’s Bank gemacht. Nach dem Essen alberten wir ein bisschen rum, und du hast mir unter meinem Kleid die Hand aufs Bein gelegt. Ich hab dich angeschrien, und du hast so getan, als wäre es nur ein Versehen gewesen. Aber die Woche darauf hast du es wieder versucht, und ich habe vierzehn Tage nicht mit dir gesprochen.«
»Würde mir dieses Unglück nur heute widerfahren«, seufzte er. »Jedenfalls wolltest du auch bald mehr.«
»Dann bist du auf die Schule in Hartlepool gegangen, und ich habe nicht mehr viel von dir gesehen. Der Winter war ziemlich lang. Aber der nächste Sommer war schön – für uns jedenfalls. Eines Tages haben wir uns ein Umkleidezelt am Strand von Crimdon gemietet und sind schwimmen gegangen. Nachher im Zelt, als du mir eigentlich den Rücken abtrocknen solltest, hast du mich angefasst.«
»Und du mich«, erinnerte er sie.
»Und du wolltest mit mir schlafen.«
»Aber du wolltest nicht.«
»Erst im nächsten Jahr. Harry, ich war nicht einmal fünfzehn! Das war schrecklich!«
»Ach, so schlecht war’s gar nicht«, grinste er. »Jedenfalls nicht, soweit ich mich erinnern kann. Aber kannst du dich überhaupt an unser erstes Mal erinnern?«
»Natürlich kann ich das.«
»Was für ein Chaos!«, kicherte er jämmerlich. »Als würde man versuchen, ein Schloss mit einem nassen Stück Papier zu knacken.«
Sie musste lächeln. »Du hast aber sehr schnell dazugelernt«, sagte sie. »Ich habe mich immer gefragt, woher du das alles gewusst hast. Ich habe echt darüber nachgedacht, ob dir jemand das alles gezeigt hat.«
Er hatte gelächelt, doch das verging ihm nun. »Was meinst du damit?«, fragte er scharf.
»Na, ein anderes Mädchen natürlich!« Sie war erstaunt über seinen plötzlichen Stimmungswandel. »Was hast du denn gedacht?«
»Ein anderes Mädchen?« Er runzelte noch immer die Stirn. Doch langsam verwandelte sein Ausdruck sich in ein saures Lächeln, dann in ein amüsiertes Grinsen und schließlich in ein unsicheres Lachen. »Ein anderes Mädchen!«, sagte er wieder, diesmal laut auflachend. »Wann denn, mit elf?«
Erleichtert lachte Brenda mit. »Du bist komisch«, sagte sie.
»Weißt du«, entgegnete er, »ich habe das Gefühl, dass mir die Leute mein ganzes Leben lang schon das Gleiche erzählen: dass ich komisch bin. Das bin ich aber eigentlich gar nicht. Gott, manchmal wünsche ich mir, ich wäre es: Ich könnte mich einfach nur amüsieren! Als wenn ich das nicht gewollt hätte! Hast du je das Gefühl gehabt, dass du, wenn du nicht bald lachst, gleich schreien musst? Das Gefühl hab ich öfter, kann ich dir sagen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Manchmal glaube ich, ich werde dich nie verstehen. Und manchmal glaube ich, dass du das auch nicht willst.« Sie seufzte. »Es wäre schön, wenn du mich so begehren würdest wie ich dich.«
Er stand auf,
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