Auferstehung
hatten der völlig gefühllose Ton seiner Stimme und das, was er gesagt hatte, ihr Blut gefrieren lassen. »Ob ich mich je gefragt habe ...?«
»Ich habe dich gewarnt, dass es ein merkwürdiges Thema ist«, erinnerte er sie rasch.
Sie wusste nicht, was sie ihm antworten sollte. Gegen ihren Willen erschauderte sie. Er konnte das nicht ernst meinen, oder? War das etwas, woran er arbeitete? So war es bestimmt: Er schrieb gerade an einer Geschichte! Brenda war enttäuscht. Eine Geschichte, das war alles. Andererseits hatte sie vielleicht unrecht gehabt, das Schreiben als Quelle seiner Stimmung außer Acht zu lassen. Vielleicht war er so, weil er mit niemandem reden konnte. Jeder wusste, dass er seinem Alter voraus war; seine Texte waren brillant, das Werk eines reifen Mannes. War es das? Lag es einfach daran, dass er zu viel in sich aufgestaut hatte, es nicht hatte herauslassen können?
»Harry«, sagte sie, »du hättest mir sagen sollen, dass es mit dem Schreiben zu tun hat!«
»Dem Schreiben?« Er hob die Augenbrauen.
»Eine Geschichte«, sagte sie. »Das ist der Grund, stimmt’s?«
Er wollte gerade den Kopf schütteln, verwandelte es jedoch in ein Nicken. Und lächelnd nickte er noch schneller. »Du hast’s erraten«, sagte er. »Eine Geschichte. Aber eine unheimliche. Ich habe Probleme, einen Zusammenhang zu finden. Wenn ich darüber reden könnte ...«
»Aber das kannst du doch, mit mir.«
»Dann lass uns darüber reden. Vielleicht kriege ich dann neue Ideen, oder du kannst mir sagen, ob mit denen, die ich bisher hatte, etwas nicht stimmt.«
Sie gingen weiter, Hand in Hand. »Genau«, sagte sie, und nach einem längeren Stirnrunzeln: »Glückliche Gedanken.«
»Hä?«
»Die Toten in ihren Gräbern. Ich glaube, sie haben glückliche Gedanken. Das wäre dann so wie im Himmel, weißt du.«
»Menschen, die im Leben unglücklich waren, denken an gar nichts«, sagte er ihr frei heraus. »Die meisten sind einfach nur froh, es hinter sich zu haben.«
»Aha! Das heißt, du willst verschiedene Sorten von Toten verwenden: Sie werden nicht alle gleich sein oder dieselben Gedanken haben.«
Er nickte. »Das stimmt. Warum sollten sie auch? Sie hatten nicht die gleichen Gedanken, als sie noch am Leben waren, oder? Einige von ihnen waren glücklich und hatten keinen Grund, sich zu beschweren. Aber es gibt andere, die sind krank vor Hass, weil sie wissen, dass jene, die sie getötet haben, ungestraft weiterleben.«
»Harry, das ist eine schreckliche Vorstellung! Was ist das überhaupt für eine Geschichte? Muss wohl eine Gespenstergeschichte sein.«
Er leckte sich die Lippen und nickte wieder. »Etwas in der Art, ja. Sie handelt von einem Mann, der mit den Toten in ihren Gräbern reden kann. Er kann sie in seinem Kopf hören und weiß, was sie denken. Ja, und er kann zu ihnen sprechen.«
»Ich finde es immer noch schrecklich«, sagte sie. »Ich meine, das ist doch grauenhaft! Aber die Idee ist gut. Und diese toten Menschen reden wirklich mit ihm? Aber warum tun sie das?«
»Weil sie einsam sind. Verstehst du, es gibt sonst niemanden, der wie dieser Mann ist. Seines Wissens ist er der Einzige, der das tun kann. Sie können mit niemandem sonst reden.«
»Macht ihn das nicht verrückt? Ich meine, all diese Stimmen in seinem Kopf, die zur gleichen Zeit um seine Aufmerksamkeit betteln?«
Harry lächelte schief. »So spielt sich das nicht ab«, sagte er. »Normalerweise liegen sie einfach nur da und denken. Der Körper zerfällt zu Staub. Doch der Geist bleibt. Frag mich nicht wie, das ist etwas, was ich nicht erklären kann. Der Geist ist einfach das bewusste und unterbewusste Kontrollzentrum eines Menschen, und nach seinem Tod macht es weiter – wenn auch nur auf unterbewusster Ebene. Als würde man schlafen – und das tut man ja auch. Nur dass man nicht mehr aufwachen wird. Verstehst du, der Necroscope spricht nur mit Toten, mit denen er sprechen will.«
»Necroscope?«
»Das ist mein Begriff für eine solche Person. Ein Mann, der in die Geister der Verstorben blickt ...«
»Ich verstehe«, sagte Brenda stirnrunzelnd. »Glaube ich zumindest. Also liegen die glücklichen Menschen einfach da und erinnern sich an all die guten Dinge oder haben glückliche Gedanken. Und die Unglücklichen, die schalten einfach ab?«
»So in etwa. Boshafte Menschen denken schlechte Dinge, Mörder haben mörderische Gedanken, und so weiter – sie alle leben in ihrer ganz persönlichen Hölle, wenn du so willst. Aber das sind die
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