Aufgebügelt: Roman (German Edition)
zehn Jahre ist und auf dem ich mir auch noch irgendwie ähnlich sehe. Eigentlich nahezu unmöglich. Es gibt nicht sehr viele Fotos von mir und vor allem eigentlich keins, auf dem ich mir gefalle. Immer wenn ich Fotos von mir sehe, bin ich erstaunt. Nicht nur, weil ich mich eigentlich hübscher finde als auf den Fotos. Ich finde auch, dass ich mir gar nicht ähnlich sehe. Mein Bild von mir selbst ist ein völlig anderes. Auf den Fotos habe ich oft so einen verkniffenen Zug um den Mund und so kleine zusammengepetzte Augen. Sehe ich tatsächlich so angespannt aus?
Foto schicken, also ehrlich – das ist eine Zumutung. Will er noch mal schnell überprüfen, ob er sich versehentlich eine unattraktive Kröte eingeladen hat? Was wird er tun, wenn ihm das Foto nicht gefällt? Mich wieder ausladen? Allein die Anfrage macht mich irgendwie sauer. Schon deshalb simse ich zurück: »Ich werde Dich erkennen, keine Sorge. Bis übermorgen.« Also, kein Foto von mir!
Vielleicht war ich jetzt etwas sehr optimistisch, aber ich bin mir sicher, dass nicht irrsinnig viele Männer um 7.45 Uhr am Business Class Schalter rumstehen werden. Um mich nicht zu blamieren, googel ich Herrn Rakete. Tom Kurz, alias Rakete, hat nicht besonders viele Einträge. Es gibt seine Firmenseite »Happy Housing« und diverse Immobilienangebote. Auch im Ausland. Bilder von ihm gibt es nur drei – eins ist winzig klein, und auf den beiden anderen trägt er eine Sonnenbrille. Eine goldumrandete Pilotenbrille. Eine Ray Ban. Meine Erinnerung hat mich nicht komplett getäuscht. Er sieht gut aus. Volles graugesträhntes Haar, Dreitagebart, markante Nase und schöne Lippen. Die Unterlippe ein wenig voller, die Oberlippe einen Tick zu schmal, aber insgesamt stimmig. Eine kleine Unperfektion macht Gesichter oft hübscher, habe ich mal gelesen. Ein tröstlicher Gedanke, vor allem für Frauen wie mich, die von Perfektion meilenweit entfernt sind. Altersmäßig ist alles okay. Er ist 50. Das erleichtert mich ein wenig. Ich weiß, dass auch das Alter angeblich relativ ist und dass junge Männer angesagt sind. Trotzdem hätte es mich eingeschüchtert, wenn Rakete wesentlich jünger gewesen wäre. Ich rede nicht über ein oder zwei Jahre, aber ein Enddreißiger wäre mir definitiv zu jung. Wenn ein Mann sehr viel jünger ist, wächst der Druck. Man will ja nicht wie die Mutti an seiner Seite wirken. Auch körperlich macht ein junger Mann eher Stress. Ich finde, dass man das Madonna auch ansieht. Was die sich abplacken muss, nur um den Ansprüchen eines jungen Geliebten zu genügen. Zu alt ist allerdings genauso schwierig. Man möchte ja auch nicht gleich in die Seniorenbetreuung wechseln.
Wie auch immer – ich werde Rakete wiedererkennen.
Die Planung meines wahnwitzigen Ausflugs ist so gut wie abgeschlossen, nur noch ein paar Besorgungen, und ich bin startklar. Jetzt aber muss ich mich erst mal auf das große Kiff-Gespräch vorbereiten. Ich möchte morgen, mit Christoph und Mark, nicht wie die letzte Ahnungslose dasitzen.
»Woran erkenne ich, ob mein Kind kifft?«, gebe ich bei Google ein.
»Folgende Symptome können auf einen Cannabiskonsum hindeuten: Plötzlicher Leistungsabfall, Desinteresse, Gleichgültigkeit, Passivität und Demotivation.«
Plötzlicher Leistungsabfall – eher nein. Mark ist schon seit Jahren nicht besonders gut in der Schule. Da ist nach unten nicht wirklich viel Luft, und er wird ja nicht kiffen, seitdem er acht ist. Desinteresse – ja, mit Sicherheit. Gleichgültigkeit – auch ein klares Ja. Passivität – definitiv ja. Demotivation – unmotiviert auf alle Fälle. Aber sind das alles nicht auch typische Symptome eines normalen Pubertierenden?
»Wenn Sie außerdem einen Bong oder Zigarettenpapier zum Selberdrehen finden, dann ist Ihr Kind mit großer Wahrscheinlichkeit ein Konsument von Cannabis.«
Ein Bong – selbst das muss ich sicherheitshalber googeln – ist eine Art Wasserpfeife. Ich schaue mir die Bilder im Netz an und bin mir sicher, so etwas hier im Haus noch nicht gesehen zu haben. Zigarettenpapier habe ich auch noch nicht gefunden, aber so ein paar Papierchen sind ja auch leicht versteckt, und bisher habe ich niemals im Zimmer meines Sohnes herumgewühlt.
Ab und zu hole ich mal ein bisschen Dreckwäsche aus seiner Höhle, ansonsten lasse ich ihn hausen, wie er mag. Solange nichts Essbares rumliegt, soll es mir egal sein. Wenn der Boden frei ist, sauge ich sein Zimmer mit durch, wenn nicht – Pech für ihn und den Boden.
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