Aufgebügelt: Roman (German Edition)
wenigstens das Gefühl gibt, sich um mich zu kümmern.
Wenn ich hier in meinem Bett liege, neige ich dazu, das Gewesene ein wenig zu verklären – ich weiß. Und klar, lag vieles im Argen, aber trotz allem kann man es doch vermissen. Auch wenn es nicht immer gut war. Allein zu sein heißt ja, es zu zweit nicht geschafft zu haben. Scheitern ist nie schön.
Meine Mutter würde jetzt sagen: »Ich hab’s dir gleich gesagt. Selbst schuld, Andrea! Hättest du mal auf mich gehört! Nur dieses eine Mal!«
Auch wenn man selbst schuld ist, kann es weh tun. Fast noch mehr. Ja, ich wollte, dass wir uns trennen, aber darf ich deswegen nicht ein kleines bisschen jammern? Manchmal wird einem ja auch erst nach einer Trennung klar, was sie bedeutet. Welche Konsequenzen sie hat. Und je länger die Trennung zurückliegt, umso stärker rücken positive Erinnerungen in den Vordergrund. Die Wut macht der Trauer Platz. Beim Einschlafen habe ich Bilder in meinem Kopf, Bilder von Christoph und seiner Miezi in Paris, Bilder von mir und Christoph in Paris. Bilder, auf denen wir lachen und uns umarmen. Uns so vertraut sind. So verliebt. So glücklich.
Ich muss weinen. Ich hätte jetzt die Frau in Paris sein können. Was haben wir bloß getan? Was habe ich bloß getan? Wie kann er mich nur so schnell ersetzen? Was will er mit der Tussi? Lohne ich den Kampf nicht? Hätte ich gerne, dass er um mich kämpft, weil ich ihn wirklich wiederhaben möchte, oder nur weil es mein verletztes Ego so will? Ich weiß überhaupt nicht mehr, was ich will. Und auch das ist ein Grund, um weiter zu weinen. Ich weine, weil ich weine und eigentlich nicht weiß, warum. Ich traure um das, was mal war. Traure ums Glück oder das, was ich dafür halte. Ich weine, bis ich einschlafe.
2
Am nächsten Morgen geht es meinem Sohn besser. Scheint wohl doch kein ganz so schlimmer Virus zu sein. Er hat die Nacht überlebt, der Eimer neben seinem Bett ist leer. Aber er will lieber zu Hause bleiben. »Sicher ist sicher, Mama! Mir ist noch nicht so gut!«
Ich bestehe darauf, dass er in die Schule geht.
»Ich glaube, ich habe noch Fieber!«, zieht er seine persönliche Schul-Fernbleib-Trumpfkarte.
»Du siehst nicht so aus, und du fühlst dich auch nicht so an, aber wir können gerne messen«, sage ich nur.
»Ist ja gut, ich geh ja«, grummelt er.
Immerhin weiß er, wann er verloren hat, und schwingt schon mal ein Bein aus dem Bett. Ein haariges Bein. Wann sind ihm bloß diese Haare gewachsen? Das ist wirklich kein Kinderbein mehr. Mein Sohn wird zum Mann.
»Willst du frühstücken?«, frage ich den angehenden Kerl.
»Klar«, brummt er. Auch die Stimme ist richtig tief.
»Okay, beeil dich und komm runter, ich mach dir was. Und denk dran, heute Mittag reden wir! Dein Vater kommt!«
Die Antwort ist eine Art unwilliges Grunzen. Danke fürs Gespräch.
Claudia ist nicht da. Sie hat bei ihrer Wahlfamilie übernachtet, mir aber immerhin eine SMS geschickt. Hab mein Schulzeug dabei, bleibe bei den von Hessges, komme morgen nach der 8. Stunde.
Kein Kuss, keine Entschuldigung, nur diese schlichte Information. Abgeschickt gestern um 00.15 Uhr. Eigentlich geht das nicht. Vor allem nicht, wenn man schon zum Abendessen hätte zu Hause sein müssen. Die schnappe ich mir, wenn wir das Kiffgespräch mit Mark hinter uns haben. Einer nach dem anderen.
Heute Abend bin ich auch noch bei unseren Nachbarn eingeladen. Bei Sackgassen-Kati und ihrem Mann Siegmar. Bis vor gut einem Jahr hatte ich wenig mit den beiden zu tun, aber seit der Trennung sind sie sehr um mich bemüht. Eine Ausnahme. Für viele Paare stehe ich seitdem auf einer Art roten Liste. Ich werde selten eingeladen. Nach einer Trennung steigt man auf in die Liga der potentiell gefährlichen Frauen. Als würde man sich, kaum dass der eigene Mann weg ist, wie ein ausgehungertes, wildes Tier auf den Rest der Männer stürzen – das erste Stück Fleisch nach jahrelangem Kräuterverzehr.
Ist man per se ungefährlicher, wenn man einen Partner an seiner Seite hat? Denken die wirklich, dass ich nach all den Jahren, die wir uns jetzt kennen, plötzlich, nur weil ich allein bin, in rasender Liebe zu einem ihrer Männer entbrennen würde? Es kränkt mich, nicht mehr automatisch dazuzugehören. Es kränkt mich, wenn Frauen sich demonstrativ an die Seite ihres Gatten stellen, ihren Arm um ihn legen, kaum dass ich ein Wort mit ihm spreche. Was wollen sie mir damit sagen? Etwa: »Finger weg, der gehört mir!«
Anita, meine Nachbarin,
Weitere Kostenlose Bücher