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Aufruhr in Oxford

Aufruhr in Oxford

Titel: Aufruhr in Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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winkte, als die beiden Kähne einander passierten, freundlich hinüber, um anzuzeigen, daß der Friede wiederhergestellt war. Hätte sie gewußt, daß Mr. Pomfret und Miss Cattermole in ihrer gemeinsamen Verehrung für sie zueinandergefunden hatten, so hätte sie sich vielleicht Gedanken darüber gemacht, wie es abgewiesenen Verliebten ergehen konnte, die ihren Kummer willigen Ohren anvertrauten; aber an so etwas dachte sie nicht, weil sie sich zu sehr mit der Frage beschäftigte, was wohl heute morgen im Hotel Mitre vor sich gegangen war; und ihre Gedanken wanderten von dort weiter in den Botanischen Garten, bis die Dekanin sie energisch darauf hinwies, daß sie einen recht gemächlichen und unregelmäßigen Schlag ruderte.
     
    Den nächsten Krach löste in aller Unschuld Miss Shaw aus.
    «Das ist aber ein hübscher Schal», sagte sie zu Miss Hillyard. Die Professorinnen versammelten sich, wie gewöhnlich, zum Abendessen vor dem Dozentenzimmer; aber es war ein trüber, kalter Abend, und ein dicker Seidenschal war eine gute Ergänzung zum Abendkleid.
    «Ja», sagte Miss Hillyard. «Aber leider gehört er mir nicht. Irgendeine leichtfertige Person hat ihn gestern nacht im Dozentengarten liegenlassen, und ich habe ihn mitgenommen. Jetzt habe ich ihn nur zur Identifizierung mitgebracht – aber ich gebe gern zu, daß ich ihn heute abend ganz gut brauchen kann.»
    «Ich weiß nicht, wem er gehören könnte», sagte Miss Lydgate. Sie fühlte ihn bewundernd an. «Sieht mehr wie ein Herrenschal aus», setzte sie hinzu.
    Harriet, die auf das bisher Gesagte nicht sonderlich geachtet hatte, drehte sich schuldbewußt um.
    «Du lieber Gott!» rief sie. «Das ist ja meiner. Das heißt, er gehört Peter. Ich hatte keine Ahnung, wo ich ihn liegengelassen hatte.»
    Es war, genauer gesagt, der Schal, der am Freitag für die Demonstration der verschiedenen Würgetechniken hatte herhalten müssen und anschließend versehentlich zusammen mit den Schachfiguren und dem Hundehalsband ins College gekommen war. Miss Hillyard wurde puterrot und riß ihn sich vom Hals, als ob sie daran erstickte.
    «Ich bitte um Entschuldigung, Miss Vane», sagte sie, ihr den Schal hinhaltend.
    «Das macht doch nichts. Ich brauche ihn jetzt gar nicht. Aber ich bin froh, daß ich weiß, wo er ist. Wenn er fortgewesen wäre, hätte ich Unannehmlichkeiten gehabt.»
    «Würden Sie freundlicherweise Ihr Eigentum an sich nehmen?» sagte Miss Hillyard.
    Harriet, die schon einen eigenen Schal um den Hals hatte, meinte:
    «Vielen Dank. Aber wollen Sie ihn auch wirklich nicht –»
    « Nein » , sagte Miss Hillyard und ließ den Schal wütend auf die Treppe fallen.
    «Mein Gott!» rief die Dekanin, indem sie ihn aufhob. «Kein Mensch scheint diesen schönen Schal haben zu wollen. Dann nehme ich ihn. Ich finde, es ist ein unangenehm kühler Abend, und verstehe gar nicht, warum wir nicht alle nach drinnen gehen.»
    Sie legte sich den Schal schön warm um den Hals, und da in diesem Moment zum Glück die Rektorin kam, gingen sie zum Essen.
     
    Um Viertel vor zehn überquerte Harriet, nachdem sie noch etwa eine Stunde an Miss Lydgates Fahnen gearbeitet hatte – sie näherten sich jetzt dem Stadium, in dem sie wahrhaftig der Druckerei übergeben werden konnten –, den Alten Hof in Richtung Tudor-Bau. Auf der Treppe begegnete sie Miss Hillyard, die gerade herauskam.
    «Wollten Sie zu mir?» fragte Harriet ein wenig aggressiv.
    «Nein», antwortete Miss Hillyard. «Ganz bestimmt nicht.» Sie sprach hastig, und Harriet fand, daß sie etwas sowohl Verstohlenes wie Bösartiges im Blick hatte; aber es war ein dunkler Abend für Mitte Mai, und sie war sich nicht sicher.
    «Oh», sagte Harriet. «Ich dachte schon.»
    «Nein», wiederholte Miss Hillyard. Und als Harriet an ihr vorbeiging, drehte sie sich um und sagte, fast als würden die Worte mit Gewalt aus ihr herausgepreßt:
    «Wollen Sie noch arbeiten – inspiriert von Ihren schönen Schachfiguren?»
    «So ungefähr», antwortete Harriet lachend.
    «Dann hoffe ich, daß Sie einen angenehmen Abend haben», sagte Miss Hillyard.
    Harriet ging weiter die Treppe hinauf und öffnete die Tür zu ihrem Zimmer.
    Die Vitrine war zerschlagen, und der Boden war übersät mit Scherben und zerbrochenen und zertrampelten Überresten roten und weißen Elfenbeins.
     
    Ihre sprachlose Wut war von der Art, die sich nicht mehr ausdrücken und auch nicht beherrschen läßt. In den nächsten fünf Minuten hätte sie, wenn ihr der Gedanke

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