Aufstand der Alten
passiert mit denen?« fragte Becky.
Norsgrey lachte kichernd. »Augäpfel sterben nicht. Hast du das nicht gewußt? Sie sterben nie. Nachts sehe ich sie aus den Dickichten spähen. Sie zwinkern dir zu und erinnern dich daran, was aus dir wird, wenn du vergißt, nach Mockweagles zu gehen.«
»Wo ist dieses Mockweagles?« fragte Graubart.
»Nun, dieses Mockweagles liegt mitten in einem Dickicht. Es ist ein Schloß, das heißt, in Wirklichkeit ist es mehr ein Wolkenkratzer als ein Schloß. Aber in den unteren zwanzig Etagen wohnt niemand. Du mußt bis ins oberste Geschoß hinaufsteigen wenn du sie finden willst.«
»Sie? Wer sind sie?«
»Oh, Männer, ganz gewöhnliche Männer, nur einer von ihnen hat eine Art zweiten Kopf, der aus seinem Nacken kommt. Sie leben ewig, weil sie unsterblich sind, verstehst du? Und ich bin wie sie, weil ich nie sterben werde, nur muß ich alle hundert Jahre einmal hingehen. Ich bin auf meinem Weg nach Süden gerade von dort zurückgekommen.«
»Du meinst, du warst schon das zweitemal dort?«
»Das dritte. Das erstemal war ich zur Behandlung dort.« Er Fuhr sich durch den hellroten Bart und spähte von einem zum anderen. Sie schwiegen.
»Du kannst nicht so alt sein«, meinte Towin endlich. »Solange ist es noch nicht her, daß alles aufhörte und keine Kinder mehr geboren wurden!«
»Du weißt nicht, in welcher Zeit wir leben. Mir scheint, dein Geist ist ein bißchen verwirrt. Aber ich will nichts sagen; ich sage nur, daß ich gerade von dort gekommen bin. Es gibt zu viele Vagabunden, die wie ihr umherwandern. Wenn ich in hundert Jahren wieder hingehe, wird es besser sein. Dann wird es keine Vagabunden mehr geben. Sie werden alle unter der Erde sein. Dann werde ich die ganze Welt für mich haben, für mich und Lita und diese Dinger, die in den Hecken zwitschern und piepsen!« Plötzlich bedeckte er die Augen mit seinen krummen Fingern; große senile Tränen tropften in seinen Bart, seine Schultern bebten. »Es ist ein einsames Leben, Freunde«, murmelte er.
Graubart legte ihm die Hand um die Schultern und erbot sich ihn ins Bett zu bringen. Norsgrey sprang auf und schrie, er könne für sich selber sorgen. Immer noch schnüffelnd und schniefend tappte er durch das Halbdunkel davon und kroch hinter den blauen Vorhang. Die anderen saßen und blickten einander an.
»Blöder alter Kerl«, sagte Becky unbehaglich.
»Er scheint viel zu wissen«, sagte Towin zu ihr. »Morgen früh sollten wir ihn fragen, was mit deinem Baby ist.«
»Towin, du nichtsnutziger Trottel du«, fuhr sie ihn an. »Plappert unsere Geheimnisse aus! Habe ich dir nicht wieder und wieder gesagt, daß du nicht davon reden sollst, bis die Leute meinen Zustand selber sehen? Alter Quatschkopf! Du bist wie eine alte Frau ...«
»Becky, ist das wahr?« fragte Graubart. »Bist du wirklich schwanger?«
»Ah, sie ist schwanger wie ein Kaninchen«, gab Towin zu und ließ den Kopf hängen. »Zwillinge würde ich sagen, wie es sich anfühlt.«
Martha betrachtete die plumpe kleine Frau; Scheinschwangerschaften waren in Sparcot häufig vorgekommen, und sie zweifelte nicht daran, daß auch dies eine war. Aber die Leute glaubten, was sie glauben wollten. Charley faltete seine Hände und sagte ernst: »Wenn das wahr ist, sei Gottes Name gepriesen! Es ist ein Wunder, ein Zeichen des Himmels!«
»Erzähl uns nichts von dem alten Unsinn«, sagte Towin ärgerlich. »Das ist allein mein Werk, und kein anderer hat damit was zu tun gehabt.«
»Der Allmächtige wirkt durch die niedrigsten unter uns, Towin Thomas«, sagte Charley. »Wenn Becky schwanger ist, dann ist das ein Zeichen für uns, daß Gott noch in der elften Stunde kommen wird, um die Erde mit seinem Volk zu besiedeln. Laßt uns alle beten ...«
»Verschone uns mit deinem dummen Zeug«, sagte Towin. »Niemand betet für meine Nachkommenschaft. Wir schulden deinem Gott keinen roten Heller, Charley-Junge. Wenn er wirklich so mächtig ist, dann war er es, der den ganzen Schaden angerichtet hat. Ich glaube, der alte Norsgrey hat recht – wir wissen nicht, wie lange das alles her ist. Erzählt mir nicht, daß wir nur elf Jahre in Sparcot waren! Mir kommt es wie ein Jahrhundert vor. Vielleicht sind wir alle tausend Jahre alt, und ...«
»Becky, darf ich meine Hand auf deinen Bauch legen?« fragte Martha.
Sie ließ es geschehen.
»Dein Magen ist tatsächlich geschwollen«, sagte Martha.
»Habe ich es nicht gesagt?« triumphierte Towin. »Im vierten Jahr ist sie – ich
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