Aufstand der Alten
»Da ist gerade eins und schaut auf uns herunter. Aber es wird uns nichts tun, weil es weiß, daß ich durch Heirat mit den Dachsen verwandt bin.«
Sie starrten hinauf und sahen nur die blaßgrauen Zweige der Esche vor dem fahlen Himmel.
Im Halbdunkel der Scheune lag ein betagtes Rentier auf der Seite. Becky stieß einen entsetzten Schrei aus, als es ihnen den grauen alten Kopf zuwandte. Hühner gluckten und scharrten am Eingang.
»Macht bloß keinen Lärm«, warnte Norsgrey. »Lita schläft, und ich will nicht, daß sie aufwacht. Wenn ihr sie stört, werfe ich euch 'raus, aber wenn ihr still seid und mir was zu essen gebt, lasse ich euch hierbleiben, wo es warm und gemütlich ist – und sicher vor allen diesen hungrigen Hermelinen draußen.«
»Was ist mit deiner Frau?« fragte Towin. »Wenn sie krank ist, bleibe ich nicht hier.«
Graubart hörte Musik in der Ferne, einzelne verwehte Töne. War es – er hatte den Namen des Instruments fast vergessen – ein Akkordeon?
Er fragte Norsgrey. Der alte Mann blickte aus seinen wässerigen Augen zu ihm auf.
»Das wird der Jahrmarkt von Swifford sein«, meinte er. »Ich bin gerade von dort gekommen und habe einen Handel gemacht. Daher habe ich meine Hühner.«
»Wie weit ist Swifford von hier?«
»Eine Meile, wie die Krähe fliegt. Zwei Meilen auf dem Weg, fünf auf dem Fluß. Ich kaufe dir dein Boot ab. Ich zahle gute Preise.«
Darauf ließen sie sich nicht ein, aber sie gaben dem alten Mann von ihrem Essen ab. Das Schaf, das sie am Vorabend geschlachtet hatten, hatte zartes und wohlschmeckendes Fleisch.
»Warum ißt deine Frau nicht mit uns?« fragte Towin. »Mag sie keine Fremden?«
»Wie ich dir sagte, schläft sie; dort hinter dem blauen Vorhang. Laß sie in Ruhe. Sie hat dir nichts getan.«
Der blaue Vorhang war zwischen Norsgreys zweirädrigem Karren und einem Nagel in der Wand gespannt und teilte eine Ecke der Scheune ab. Die Scheune war nun überfüllt, denn bei Beginn der Dämmerung hatten sie auch die Schafe hereingebracht. Mit den Hühnern und dem alten Rentier gaben sie unruhige Bettgenossen ab. Das Licht der Lampen reichte kaum zu den Deckenbalken hinauf. Schwalbennester klebten an den Wänden und warteten auf die Rückkehr ihrer Erbauer im nächsten Frühling.
»Hier, für wie alt hältst du mich?« fragte Norsgrey und hielt sein Gesicht Martha zur Inspektion hin.
»Ich denke nicht gern über das Alter nach«, sagte Martha.
»Nun, denk wenigstens über meins nach. Anfang Siebzig würdest du schätzen, nicht wahr?«
»Vielleicht.«
Norsgrey stieß einen Triumphschrei aus, dann warf er einen furchtsamen Blick auf den blauen Vorhang.
»Dann laß dir sagen, daß du dich irrst. Soll ich dir verraten, wie alt ich bin? Soll ich? Hah, du wirst es nicht glauben!«
»Los, sag schon, wie alt du bist«, sagte Towin. »Fünfundachtzig gebe ich dir. Du bist älter als ich, und ich wurde 1945 geboren. Ich wette, du bist vor 1945 geboren, Alter.«
»Es gibt keine Jahre mit Nummern mehr«, erklärte Norsgrey verächtlich und wendete sich wieder an Martha. »Du wirst es nicht glauben, liebe Lady, aber ich bin beinahe zweihundert Jahre alt. Nächste Woche habe ich meinen zweihundertsten Geburtstag.«
Martha zog ironisch die Brauen hoch. »Für dein Alter siehst du sehr gut aus.«
»Du bist niemals zweihundert, genausowenig wie ich«, sagte Towin verächtlich.
»Ich bin es«, erwiderte Norsgrey gereizt. »Du kannst meine Frau fragen, wenn sie aufwacht.«
Pitt hatte die ganze Zeit kein Wort gesagt und saß abseits. Nun hob er den Kopf und sagte plötzlich: »Es wäre besser gewesen, du hättest auf mich gehört, Graubart. Dann wären wir jetzt auf dem Fluß und nicht in diesem Tollhaus.«
»Du kannst nach draußen gehen, wenn es dir hier nicht gefällt«, versetzte Norsgrey. »Das Dumme mit dir ist, daß du sowohl grob als auch dumm bist. Gott sei Dank wirst du sterben! Keiner von euch weiß etwas von der Welt. Es gibt seltsame neue Dinge in der Welt, von denen ihr nie gehört habt.«
»Und die wären?« fragte Charley.
»Siehst du dieses rote und grüne Halsband? Das habe ich in Mockweagles bekommen. Ich bin einer der wenigen Menschen, die in Mockweagles gewesen sind. Ich habe zwei junge Rentierkühe dafür bezahlt, und das war noch billig, der halbe Preis. Man muß nur alle hundert Jahre wieder hingehen, um es erneuern zu lassen, sonst wacht man eines Morgens auf und – phtt! zerfällt zu Staub, ganz und gar, bis auf die Augäpfel.«
»Und was
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