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Aufstand der Maenner

Titel: Aufstand der Maenner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Tralow
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mußte die befohlene Anzahl von Mädchen und Knaben — die schönsten und kräftigsten aus den besten Familien - als Stieropfer die Fahrt nach Knossos antreten, um dort — wie man sich nicht ausreden ließ - in ein unentwirrbares Labyrinth zum Minotaurus hinabzusteigen. In Wahrheit betraten die Kampfstiere nie den Minospalast, der den Uneingeweihten ein Labyrinth zu sein schien. Und die Stieropfer betraten ihn auch nicht. Die Mädchen und Jünglinge wurden vielmehr in einem zähen und harten Drill für ihre Aufgabe abgerichtet, bis dann die Tage der heiligen Kämpfe kamen, Kämpfe, vor denen die Kreter ihre eigenen Töchter und Söhne bewahrten.
    Aber einen Unterschied gab es doch zwischen Stier und Mensch: Der Stier wurde immer besiegt und erhielt vom Taureador oder der Taureadorin den Todesstoß. Es blieben deren genug übrig, mochten noch so viele fallen. Auch gab es stets Mädchen und junge Männer, die ihre Kämpfe überlebten, ja es zuweilen zu hohem Ruhm in der Arena brachten. Nicht die Kriegshelden, von deren Schlachten man nur hörte und nichts sah, waren die großen Volkslieblinge, sondern die siegreichen Stierkämpferinnen und -kämpfer. Wenn so ein junger Mensch im Klimmzug am Stierhorn hing und dem rasenden Tier in unbeirrbarer Sicherheit den Fang gab dann erhob sich aus der Arena ein Geschrei, das ganz Knossos hörte. Wer es dahin gebracht hatte, befand sich auf dem Wege zur Freiheit. Nach dem sechsten getöteten Stier brauchte kein Stieropfer mehr in die Arena hinab. Meist blieben die Befreiten dann als Lehrerinnen und Lehrer ihrer Kunst treu. Wen aber das Abenteuer verlockte, der gewann dadurch Reichtum und Ruhm, daß er immer wieder und freiwillig mit dem langen Bronzedolch dem Stier entgegentrat. Zu diesen Berühmten gehörte Thes.
    Wie alle Stierkämpfer war er ein Barbar. Ein Danaer war er aus dem Norden. Daß er der Sohn eines Königs sein solle, bedeutete nicht allzuviel. Auf dem Festlande schimpfte jeder Dorfhäuptling sich König, und wenn man die jungen Leute selbst hörte, waren sie alle Prinzessinnen und Prinzen. Im Falle eines Thes freilich gab es keinen Zweifel. Jeder Arenabegeisterte - und welcher Kreter wäre kein Begeisterter gewesen? - kannte die Herkunft seiner Helden. Aigeus hieß demnach der Vater, und König war er an einer Nordbucht irgendwo in einem Lande Attika und in einem Dorfe namens Athen. Schon eine ganze Weile stand Thes oder auch Theseus auf der Höhe seines Ruhmes. Oft schon hatte es geheißen, er werde nun endgültig abtreten und sich nur noch als Stierzüchter betätigen; aber bis jetzt hatte er immer noch einmal einen Kampf angenommen.
    Wie hätte Garp diesen Thes nicht kennen sollen? Sogar er
    kannte ihn. »Also Thes?« fragte er nun. »Nun ja, Damen dürfen sich erlauben, was den Männern verboten ist. Aber was sagt Thes selbst dazu? Er ist kein Sklave mehr.«
    »Vielleicht bereitet es ihm Freude. Ihre Schwester ist hübsch, Herr.«
    »So? Ist sie das?«
    Garp kannte jeden Zug im Gesicht der Großen Dame, völlig vertraut war ihm deren Gestalt und jede ihrer Bewegungen. Selbst seine mütterliche Dame Sipha war ihm gegenwärtiger als seine Schwester Adna. Niemals hatte er darüber nachgedacht, ob sie hübsch sei oder nicht. Jetzt freilich, da Tuk es sagte, mußte er sich gestehen, daß Adna nicht umsonst die Tochter eines schönen Vaters sei. Nicht einmal die etwas unregelmäßige kleine Nase könne dem reizvollen Gegensatz zwischen ihren blonden Haaren und ihren dunklen Augen etwas anhaben, ebensowenig wie der etwas zu füllige Mund. Ihre schlanke, knabenhafte Gestalt freilich müsse man ihrer Jugend nachsehen, und aus den spitzen Brüsten vermöge kein noch so pressendes Mieder mehr zu machen, als eben dasei. Nur die Zeit könne ergänzen, was bei ihr am kretischen Schönheitsideal noch fehle. Übrigens liege ihm gar nichts daran, ärgerte er sich über sich selbst, weder an fetten oder spitzen Brüsten noch an Mädchen überhaupt. Ein ihm ganz unverständlicher Ärger war das. Der Gedanke, daß dieses Mißbehagen mit Thes etwas zu tun haben könne, kam ihm dabei überhaupt nicht. Damenmädchen hatten ihre Liebesgeschichten - ob nun mit Stieropfern oder geschniegelten Bürschchen aus der eigenen Gesellschaftsschicht oder mit wem sonst. Garp wäre erstaunt gewesen, wenn Adna sich anders verhalten hätte.
    Etwas Besonderes war sie immerhin, wenn auch in anderer Hinsicht, und was Tuk unbewegten Gesichtes von ihr erzählte, war ein weiteres Kapitel aus der

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