Aufstand der Maenner
Die einen in die Berge, die andern neuerdings auf die Schiffe . . . alle aber werden Räuber.«
»Und vor diesem Gesindel fürchtest du dich?« Weil sie Garp zum Reden bringen wollte, sprach Belit so.
»Ich furchte sie nicht, Mütterchen«, war die Antwort, »und ehe sie Kreta selbst anfallen können, würde eine lange Zeit verstreichen. Weit eher würde diese Krisis, wenn sie fortdauerte, auf dieser Insel selbst Krieg hervorrufen -«
»Krieg auf der Insel?«
»Wenn Mütterchen es lieber hören: Krisis.«
»Du glaubst doch nicht, daß die Menschen mit Äxten und Schwertern aufeinander losgehen werden - Kreter gegen Kreter?«
»Es ist nicht so lange her, wie ich weiß, daß sie es taten.«
»Das ist vorbei! Du meinst die Kriege der Städte um die Vorherrschaft. Aber die großen Familien haben sich verständigt, mögen sie unter sich auch noch so uneins sein . . .«
»Gegen das Volk seien sie einig, meinen Mütterchen?«
»Sie sind einig darin, die göttingewollte Ordnung zu bewahren! . . . Höre, mein Kind, du hast vieles gesehen ich meine, nicht nur die Oberfläche, sondern auch manches von dem, was darunterliegt. Die Wirklichkeit ist immer das Verborgene. Die wenigsten sehen sie - kaum eine der Damen -, und die meisten ahnen nicht einmal etwas von ihr. Du jedoch machst dir Gedanken darüber, und so will ich mit dir reden, wie ich mit deiner Mutter leider nicht sprechen konnte.«
Eine rote Welle überlief Garp, aber er bezwang sich. Mit Genugtuung bemerkte es Belit.
»Mütterchen zürnen mir wegen meiner Worte?«
»Ich zürne dir nicht, mein Kind, weder wegen deiner Worte noch Siphas wegen. Eine Frau muß den Mann erkannt haben und schließlich ein Mann auch die Frau. Ihretwegen wurde er erschaffen - ihr sich zu weihen ist der W i lle der Göttin. Ich gedenke dich zu verheiraten. Widerstrebe nicht länger; denn das tatest du bisher - sage nichts mehr. Es sind andere Dinge, um derentwillen ich meine Tochter einstweilen ihres Amtes enthob. Bei der Idäischen Mutter möge sie bereuen. Du aber bedenke: Solltest du auch immerhin einen Zipfel der Wirklichkeit erhascht haben, vergiß darüber nicht, wieviel dir noch von dem zu sehen bleibt, was du nicht sahst. Das Wirkliche ist die Göttin, und der Anblick der Unverschleierten würde dich töten.«
»Ich überhebe mich nicht.«
»Das ist gut. Dennoch bemerktest du der Damen unüberwindliche Selbstsucht, die sie blind macht gegen die Leiden der Beherrschten. Das sei schlimm, sagst du?«
»Ja, ich sage es.«
»Ich habe nichts anderes erwartet. Und nun bleibt dir nur zweierlei: Auflehnung oder Flucht. Die Flucht hast du versucht, und deine Triebe warfen dich in die Wollust der Kasteiung und der Hingabe an die Frau. Mag sich manches nicht nach meinen Wünschen vollzogen haben, so tadele ich dennoch nicht, was geschah, weil es dir deinen Platz bezeichnet und dich künftig vor Auflehnung bewahren wird. Nach Rheas Willen gehörst du uns, den herrschenden Frauen. Mag eine Herrschaft gut oder schlecht sein - jede ist besser als keine oder die aller, was dasselbe ist. Du hast dich umgeschaut in den Fabriken und Hütten - überlege, mein Sohn, was sein würde, wenn die Sklaven und arm gebliebenen Freien zur Herrschaft kämen. Wir Damen wären verloren -das möge sein! Auch unsere Paläste mit allem, was darin ist, auch dieser Palast des heiligen Minos - alles möge verloren sein, obwohl es sich nicht mehr erneuerte und für immer dahin wäre. Aber würde es den Zerstörern darum besser ergehen als jetzt? Sie hätten sich selbst zerstört. Der Krieg aller gegen alle wäre die Folge. Der Mensch würde wieder in Höhlen leben und den Menschen jagen, nicht um ihn aus Haß zu töten, sondern um ihn zu verzehren.«
Doch Garp war jung. Er hatte die Leute in den Fabriken arbeiten und den hölzernen Pflug durch den Acker ziehen sehen, er wußte um die auf den Schiffen, kannte die kärgliche Nahrung der Werkenden, ihr Leben und ihr oft recht elendes Sterben. Allerdings lebten sie nicht in Höhlen oder doch nur noch die störrischen Nachkommen der Urbevölkerung, der Eteokreter, in den Bergen. Und auch die fraßen einander nicht mehr. - Doch alles das wog Garp nicht eins gegen das andere ab, und an die verhältnismäßige Sicherheit selbst der Armen und an die weiteren wohltätigen Folgen der Frauenherrschaft dachte er nicht. In diesem Augenblick sah er nur die Geblendeten in der Grube der Vergessenen.
»Es mag ein Greuel sein«, sagte er bitter, »wenn die Menschen den andern
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