Aufzeichnungen eines Schnitzeljägers
Schatten sehen oder sich die Erde aufgrund der Plattentektonik wieder mal ein Stück weiter bewegt, ruft er: «Achtung, da ist was!» Natürlich ist da was. Wenn da nichts wäre, befänden wir uns am Rande des Universums und würden beim nächsten Schritt in ebendieses Nichts stürzen.
Manchmal ist er aber auch unglaublich tapfer. Ich weiß es noch wie heute: Es war dunkel, der Vollmond hinter einer dicken Wolke verschwunden. Wir durchstreiften ein heute nicht mehr benutztes Kohlenverladegelände aus den vierziger Jahren. Nachdem wir eine alte Schienentrasse verlassen hatten, stiegen wir über einen umgetretenen Zaun und landeten in einem alten Gemäuer. Überall waren Graffiti an der Wand. Jedes Mal, wenn unsere Taschenlampen eine Säule anstrahlten, blickte uns eine neue, an die Wand gesprühte Fratze an. Fledermäuse flogen durch die Luft, doch wir konnten sie nicht sehen. Nur hören und spüren. Natürlich hatten wir keine Angst. Ich habe noch immer Tobis Worte im Ohr, als wäre es gestern gewesen: «Ganz schön unheimlich!» … «Unheimlich, was?» … «Mann, Mann, Mann, ist das unheimlich!» … «Dass man so was unheimlich Unheimliches macht, das ist einfach … unheimlich.»
Nachdem wir unter der schützenden Überdachung der alten Betonhalle hervorgetreten waren, gingen wir in einen großen Wald. Plötzlich spürte ich eine Berührung an der rechten Wange.Oh mein Gott, dachte ich, es hat mich erwischt! Er war, einfach so, völlig überraschend aufgetaucht. Ein Ast. Wer rechnet im Wald schon mit Ästen! Ohne Vorwarnung hatte er sich mit tödlicher Kraft an dem Klettverschluss meiner Jacke festgekrallt. Ich sagte zu Tobi: «Ähm, kannst du das bitte mal irgendwie wegmachen, ich komm da nicht dran.» Geistesgegenwärtig wandte er den Kopf, den Blick auf mich gerichtet, und sprang erst mal drei Schritte nach hinten. Es hätte ja auch was Schlimmeres sein können, eine Schlange, ein Krokodil oder ein australisches Buschkänguru. Nachdem er sich beruhigt hatte, besser gesagt, nachdem ich ihn gezwungen hatte, 320 Gramm pures Valium zu schlucken, konnte er mir endlich helfen.
Trotzdem bin ich jedes Mal froh, ihn dabeizuhaben. Werden wir nachts von einem wilden Tier angegriffen, brauche ich nicht schneller zu rennen als das Tier. Sondern nur schneller als Tobi. Ach ja, ich nenne übrigens alle meine Begleiter Tobi. Gerade wegen der Problematik mit den wilden Tieren haben schon viele diesen Namen getragen.
Natürlich braucht man beim Nachtcachen auch eine Lampe. Je stärker, desto besser. Je leichter, desto besser. Ja, man kann fast sagen: Je besser, desto besser. Leider ist es recht aufwendig, jedes Mal die Autobatterie auszubauen und mit dem Frontscheinwerfer durch die Gegend zu zielen. Aber dafür gibt es ja Taschenlampen, so genannte «Photonenpumpen». Dieses unglaublich komische Wort stammt von Chrissi, einer alten Schulfreundin, die mich hin und wieder auf meinen Cacherwanderungen begleitet. Sie war damals zum ersten Mal dabei, um mit eigenen Augen zu sehen, «was wir da so machen». Wir suchten einen Tagescache. Mit meiner Frau und ihr waren wir diesmal in einem verschneiten Wald unterwegs und sollten ein oder zwei Höhleneingänge zählen. Bei der Gelegenheit wollte ich auch mal in die finsteren Grotten hineinschauen. Chrissi hatte eine kleine Lampeals Schlüsselanhänger dabei, wie neckisch. Und jedes Mal, wenn ich ins Dunkel einer Höhle schaute, machte sie diesen Gag: «Ich kann dir auch mal meine Photonenpumpe leihen.» Am Anfang lachten meine Frau und ich noch, wir sind ja mit ihr befreundet und fühlten uns daher verpflichtet. Aber irgendwann ließen wir es dann und bemerkten: Darum ging es Chrissi gar nicht. Sie wollte gar nicht komisch sein. Sie hat es einfach so gesagt. Um … ja, um … wieso eigentlich?
Na ja, wir haben ihr später einfach mal das GP S-Gerät in die Hand gedrückt, so als nette Geste. Sie sollte mal sehen, wie sich richtiges Cachen anfühlt. Wenige Minuten später mussten wir die Tour abbrechen, wir waren einfach zu weit von der Route abgekommen … Wenn sie jetzt Photonenpumpe sagt, denke ich mir immer, dass Strahlung leichter abzugeben als zu empfangen ist.
Mein allererster Nachtcache war «mul@night». 37
Ich war mal wieder mit Tobi auf dem Rückweg von einem Auftritt, und wir hatten uns fest vorgenommen, jetzt und heute (oder morgen, es war schon kurz vor zwölf) unseren ersten Nachtcache zu heben. Wir hatten ihn über Google Earth
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