Aufzeichnungen eines Schnitzeljägers
spannend, sondern verzweifelt, traurig.
Jedenfalls saß ich mehrere Stunden vor den Auftritten in der Garderobe und versuchte angestrengt, die Lösung zu finden. Irgendwann stand Tobi hinter mir und meinte ganz freundlich: «Na ja, Google Earth zeigt nicht immer alles, sondern manches nur manchmal, na?» Er lächelte mich wissend an. Ich schauteböse zurück, weil ich auf so ein Indiana-Jones-Rätsel absolut keine Lust hatte. Aber Tobi hatte wohl zu viel
Da Vinci Code
gelesen und machte munter weiter: «Wenn ein Haken dir den Weg wird weisen, musst du nicht selbst dorthin verreisen.» Erst als ich ihm drohte, sämtliche Cacherbilder von ihm mit falschem Datum an seine Freundin zu schicken, sprudelte er los: «Schalt mal bei Google Earth die Informationen ein …» Ich tat wie geheißen. Toll, es tauchten «unterirdische Gasleitung», «überirdische Stromkabel» und noch viel mehr auf, nur nutzte es nichts. «… und sieh mal genau dorthin, ja dort, nein nicht da. Da, ja etwas weiter, nein hoch, nicht die Seite, ach, lass mich mal.» Damit nahm er mir die Maus aus der Hand. Am Ende stand da: «Konfluenzpunkt». 43
Toll!
Das sagte mir gar nichts. Ich schaute also im Internet nach und stellte fest, dass wir als Geocacher ziemlich armselige Gestalten sind, weil wir mit so einer Art Handy durch die Wildnis laufen, um Dosen auszubuddeln, die jemand anders versteckt hat, anstatt sie direkt per Paketdienst von Ort zu Ort zu schicken. Aber nein, es gab noch armseligere Menschen. Diese Leute suchten einfach nur Stellen auf der Erde, bei denen die Minutenangabe null war. Also gerade Gradzahlen. So was wie N 23° 00.000 E 34° 00.0000 .
Da wird das GPS zum reinen Selbstzweck. Vielleicht gibt esauch Menschen, die nur nach Primzahlen als Graden oder Minuten oder Schnapszahlen suchen. Wer soll auf so was kommen, wer WILL auf so was kommen?
Ich besann mich jedenfalls auf mein eigenes Hobby und fing wieder an, nach Dosen zu suchen. Und zwar erst mal die im Arzneischrank – mit den Beruhigungspillen.
Eine besondere Kombination aus Webcam- und virtuellem Cache ist der sogenannte SpyCam. Er hat einerseits die virtuelle Komponente, auch hier muss man nicht vor die Tür, es bedarf aber auch der Zuhilfenahme einer Webcam.
Wie bei den meisten Ich-bin-faul-Caches hat mich Tobi darauf gestoßen. Er hatte wohl mal wieder Stubenarrest. Vielleicht war auch einfach nur seine Tante zu Besuch. Jedenfalls saß er am Computer und entdeckte aus Versehen diesen virtuellen Cache. Das muss ihn so was von schockiert haben, dass er mir sofort – ebenfalls aus Versehen – eine E-Mail schickte, um mir zu sagen, was er da Tolles vollbracht hatte. Also für ihn, ich selbst bin natürlich gegen so etwas immun. Nicht mal im Ansatz reizen mich solche Caches. Trotzdem setzte ich mich ihm zuliebe mal dran – und schon war ich infiziert.
Beim «SpyCam» besteht die Aufgabe darin, eine bestimmte Kamera zu steuern. Dann sieht man etwas, womit man weiß, was man als Nächstes sehen soll, wodurch man wieder weiß, womit man
was
sehen soll.
Schon der Einstieg war nicht ganz einfach, da man erst einmal raten musste, welche Stadt gemeint war, in der dann die Kamera gesucht werden sollte. Da ich aber just in ebenjener Stadt schon mehrmals mit überhöhter Geschwindigkeit fotografiert worden bin und sich ebenjene Stadt deshalb in mein Gehirn eingebrannt hat, war mir sofort klar, worum es ging: «Xneyfehur». Mehr wird nicht verraten, sonst ist der Cache ja viel zu einfach. DieKamera fand ich dann übrigens überraschend schnell – meist ein sicheres Indiz dafür, dass man völlig falsch liegt.
Leider hat man nur 120 Sekunden Zeit, um die Kamera zu steuern, dann landet man in der Warteschleife wieder ganz hinten. Selbst wenn man alleine ist, wird man aber immer wieder auf Warteplatz eins gelegt, die Kamera fährt, ich vermute mal automatisch, in die Ausgangsposition zurück, und man kann sich wieder beim Anblick bewegter Müllwagen während des Entladens blauer Säcke entspannen. Bei mir zog sich die Suche dann doch ein wenig länger hin:
Die ersten 120 Sekunden, die mir zustanden, verbrachte ich damit, auf das Bild zu starren, weil ich gar nicht wusste, dass ich schon dran war.
Die zweiten 120 Sekunden verbrachte ich damit, zu bemerken, dass ich schon dran war.
In den dritten 120 Sekunden lernte ich dann, wie man diese Kamera überhaupt steuert.
Die vierten 120 Sekunden war ich gerade auf Toilette. Genau genommen waren es nur die
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