Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Auge des Mondes

Titel: Auge des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
Vom Netzwerk:
würde! Beim Gedanken, vor Tama und Rahotep zu treten und ihnen zu sagen, was sie soeben erfahren hatte, zog es ihr den Magen zusammen. In ihrer Hilflosigkeit würden die beiden ihr die Schuld zuschieben wie schon so oft zuvor, und danach in Verzweiflung ausbrechen, beziehungsweise in Wut. Mit keinem von beiden jedoch war Ameni geholfen. Minas Gehirn arbeitete fieberhaft. Vielleicht konnte sie Senmut ja doch noch einen Ratschlag entlocken.
    »Soll ich mich Aryandes zu Füßen werfen? Ihn um Gnade anflehen? Oder soll ich besser Chai ins Spiel bringen, der dem Tempel bis zu seinem Tod treu gedient hat? Meinst du, das könnte vielleicht nützen?«
    »Das ist deine Entscheidung.«
    »Aber es muss doch Mittel und Wege geben, sein Herz zu rühren!« Sie konnte, sie durfte nicht aufgeben!
    »Sein Herz?« Senmuts Mund lächelte, die Augen aber blieben ernst. »Bis jetzt ist mir nicht aufgefallen, dass er je eines gehabt hätte.«
    Er wandte sich zum Gehen.
    »Warte!«, rief sie ihm hinterher, weil sie jetzt ohnehin nichts mehr zu verlieren hatte und vielleicht wenigstens Scheris Alpträume lindern konnte. »Ich muss dir noch etwas sagen. Es geht um Katzen, die nachts offenbar verschwinden. Und um Männer, die sie gewaltsam einfangen und in große Käfige stopfen. Die Tiere werden auf einen Karren verladen und weggeschafft. Wohin, frage ich dich? Und weshalb sollte jemand so etwas tun, ausgerechnet hier bei uns? Auf jeden Fall dachte ich, die Sache müsste dich interessieren.«
    Senmut war stehen geblieben.
    »Bärtige Männer, um genau zu sein«, fuhr Mina fort.
    »Klingt eher wie ein Hirngespinst, wo doch kaum ein Mann in Kemet unrasiert herumläuft, ich weiß. Aber es gibt offenbar Zeugen, die alles beobachtet haben.«
    »Welche Zeugen?« Er stand wieder vor ihr. »Kennst du die Leute? Hast du selber mit ihnen gesprochen?«
    Da war etwas, mehr in seiner Haltung als seiner Stimme, was Mina vorsichtig werden ließ. Er ärgerte sich. Es missfiel ihm, was sie gesagt hatte. Sie hätte besser gar nicht erst damit anfangen sollen. Jetzt hätte sie ihre unbedachten Worte am liebsten zurückgenommen, aber es war zu spät.
    »Hab ich nur gehört«, sagte sie rasch. »Was die Leute so reden, du kennst das ja. Ich dachte nur …«
    »Und ich dachte, du gehörst nicht zu denen, die alles nachplappern, bevor sie selber zu denken beginnen. Sollte ich mich da getäuscht haben?«
    »Tue ich auch nicht für gewöhnlich.«
    Er hatte es tatsächlich fertiggebracht, dass sie sich schämte! Klein, dumm und geschwätzig kam sie sich vor, alles Eigenschaften, wie man sie Frauen für gewöhnlich nur zu gerne attestierte.
    Was konnte sie zu ihrer Verteidigung vorbringen?
    Mina dachte nach, dann ließ sie es bleiben. Jedes weitere Wort würde alles nur noch schlimmer machen. Senmut war äußerlich ganz ruhig geblieben, und dennoch kam er ihr verändert vor. Er schien plötzlich gewachsen zu sein, erfüllt von einer unsichtbaren Kraft, die ihn größer und stärker wirken ließ. Auch seine Augen waren nicht länger zwei blanke Spiegel, die nichts verrieten. Jetzt glomm ein Feuer in ihnen, das ihr Angst machte.
    Wie hatte sie nur so unbedacht vorpreschen können? Niemals würde sie Scheris Namen diesem brennenden Blick preisgeben.
    »Es gibt immer Gerede«, sagte Senmut. »Über alles Mögliche und Unmögliche. Das dürfte doch gerade dir nichts Neues sein. Leben die Geschichten, die du erzählst, nicht genau davon?«
    Da irrst du dich ganz gewaltig!, wollte sie ihm entgegenhalten. Meine Geschichten leben von der Liebe und dem Verrat, den Fehlern, die wir Menschen begehen und die wiedergutzumachen uns oft so unendlich schwerfällt, von Hoffnungen und Ängsten, von den kleinen Siegen und den großen Niederlagen … Stattdessen begnügte sie sich mit einem matten Nicken.
    Sie war ihm zu nah gekommen, das spürte sie mit jeder Pore, sie hatte, ohne es zu wollen, eine unsichtbare Grenze übertreten. Sie wusste nicht, weshalb Senmut derart empfindlich reagiert hatte, und es war eigentlich auch egal. Sich ihn zum Feind zu machen wäre mehr als unklug, in vielerlei Hinsicht. Was nur konnte sie tun, um der Situation die Schärfe zu nehmen?
    »Wo hast du denn deine schöne Weiße gelassen?«, fragte sie und dachte dabei sehnsüchtig an Bastet, die sie schon jetzt vermisste. »Und all die anderen Katzen, die sonst immer hier herumstreunen, wo sind die eigentlich alle geblieben?«
    »Sicherlich nicht bei deinen bärtigen Nachtdämonen«, sagte Senmut. »Komm!

Weitere Kostenlose Bücher