Auge um Auge
blasse Männer mittleren Alters in dunklen Anzügen und Mänteln herein. Einer von ihnen hatte einen Leichensack aus schwarzem Plastik über dem linken Arm.
»Hier entlang.«
Dillon führte sie hinein. »Meine Güte«, sagte der Ältere der beiden, als er Ali Salim sah.
»Sparen Sie sich Ihr Mitgefühl. Er hat dreimal auf Superintendent Bernstein geschossen. Ich habe seine Brieftasche, die ich General Ferguson übergeben werde. Schaffen Sie ihn einfach hier raus.«
»Selbstverständlich, Mr. Dillon.«
Als Dillon später an Hannah Bernstein dachte und an alles, was sie zusammen erlebt hatten, spürte er keine Wut, sondern Sorge. Schließlich gehörte so etwas zu dem Beruf, den sie beide ausübten. Die Wut würde später kommen. Er schlüpfte in einen Trenchcoat aus Leder und verließ das Haus.
Viele Leute hielten Arnold Bernstein für den besten Chirurgen in London, aber eine Operation an seiner eigenen Tochter wäre unvereinbar mit seinem Berufsethos gewesen, weshalb Professor Henry Bellamy vom Guy’s Hospital operierte. Er erlaubte Bernstein jedoch, als Beobachter im Operationssaal zu sein, was mit dem ärztlichen Ethos gerade noch vereinbar war.
Ferguson, Dillon und Blake saßen mit Rabbi Julian Bernstein, Hannahs Großvater, im Vorraum. Sie tranken Kaffee oder Tee, während sie auf das Ende der vierstündigen Operation warteten.
»Vermutlich hassen Sie uns, Rabbi«, sagte Ferguson.
Der alte Mann zuckte die Achseln. »Wie könnte ich? Das ist das Leben, das sie gewählt hat.«
Die Tür ging auf, und Bellamy kam mit Arnold Bernstein heraus. Beide trugen noch Operationskleidung. Die Wartenden standen auf, und Ferguson fragte: »Wie schlimm ist es?«
»Sehr schlimm«, antwortete Bellamy. »Der Magen ist verletzt, die Blase, die Milz. Eine Kugel hat den linken Lungenflügel durchschlagen und das Rückgrat angekratzt. Es ist ein Wunder, dass sie noch am Leben ist.«
»Aber sie ist noch am Leben?«, fragte Dillon.
»Ja, Sean, das ist sie, und ich glaube, dass sie durchkommen wird. Aber es wird eine Weile dauern, bis sie über den Berg ist.«
»Dem Himmel sei Dank«, sagte Rabbi Bernstein.
»Danken Sie lieber einem großartigen Chirurgen«, sagte Dillon, drehte sich um und ging hinaus.
Ferguson rief ihm hinterher: »Warten Sie doch, Sean!«
Er holte Dillon an der Treppe vor dem Eingang ein. Blake war ihnen gefolgt. »Sean, Sie werden doch keine Dummheiten machen?«
»Weshalb sollte ich so etwas tun?«
» Ich kümmere mich um Rashid.«
Dillon stand reglos da und sah ihn an. »Dann tun Sie es bald, General, sehr bald. Denn wenn Sie’s nicht tun, dann tue ich es. Behalten Sie das im Gedächtnis.«
Damit ging er die Treppe hinab und davon.
»Ein wütender Mann, General«, sagte Blake Johnson.
»Ja, und mit vollem Recht. Besprechen wir die ganze Sache, Blake. Vielleicht finden wir die richtige Methode, damit umzugehen.«
Als Dillon wieder in seiner Wohnung war, läutete es an der Tür. Draußen stand der Ältere der beiden Männer, die Ali Salims Leiche fortgeschafft hatten. Er trug eine dunkelgraue Kunststoffurne.
»Ah, Mr. Dillon. Ich dachte, Sie würden das gern haben.«
»Was ist es?«
»Die Asche von Ali Salim.«
Dillon nahm die Urne entgegen. »Ausgezeichnet. Ich sorge dafür, dass sie den richtigen Empfänger erreicht.«
Er stellte die Urne auf das Regal im Flur, dann rief er Ferguson an. »Ich bin’s. Wann treffen wir Rashid?«
»Das weiß ich noch nicht.«
»Ich schon. Ich habe Ihnen doch gesagt: Wenn Sie nichts unternehmen, kümmere ich mich um ihn.«
»Das ist nicht nötig. Ich rufe ihn an und vereinbare einen Termin.«
»Tun Sie das.« Dillon legte auf.
Zu seiner Überraschung läutete es erneut an der Tür; als er aufmachte, stand Rabbi Bernstein vor ihm.
»Darf ich hereinkommen, Sean?«
»Natürlich.«
Der alte Mann folgte Dillon ins Wohnzimmer, wo Dillon sich umdrehte. Er hatte plötzlich Angst bekommen. »Es geht ihr doch gut, nicht wahr?«
»Offenbar ja, Sean. Ich kenne zwar nicht alle Einzelheiten, aber ich weiß, was sie Ihnen durch mich mitteilen würde. Sie will keine Rache.«
»Nun, ich schon. Tut mir Leid, Rabbi, aber ich fühle mich momentan sehr alttestamentarisch. Auge um Auge.«
»Lieben Sie meine Enkeltochter?«
»Nicht so, wie Sie es jetzt meinen. Was sie betrifft – sie liebt mich nicht, weiß Gott. Sie verabscheut sogar, was ich darstelle, aber darauf kommt es jetzt
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