Auge um Auge
vermeintlichen Notfall hat er Villiers auf einem unverschlüsselten Kanal angefunkt. Die Iraker haben den Funkspruch aufgefangen, Rashid aufgespürt und alle seine Leute umgebracht.«
»Bis auf Rashid selbst?«, fragte Billy.
»Genau. Als Villiers dann den Ort des Geschehens erreichte, war keiner mehr da. Nur sieben irakische Soldaten, allesamt tot und kastriert.«
»Und Rashid?«, fragte Dillon.
»Der hat die alliierten Linien zehn Tage später allein zu Fuß erreicht.«
»Tony Villiers hat nie davon gesprochen«, sagte Dillon. »Weshalb nur?«
Hannah lächelte und schüttelte den Kopf. »Welch ein Trost – selbst der große Sean Dillon ist manchmal naiv. Weißt du, Rashid ist ein echter Earl, der außerdem in Sandhurst, bei den Grenadier Guards und beim SAS war. Ganz egal, was man ihm dort beigebracht hat – wie man seinem Gegner den Schwanz abschneidet, war bestimmt nicht dabei. Über so was schweigt man also lieber.«
»Das ist ja mächtig interessant, Superintendent«, sagte Billy, »aber was schließen Sie daraus?«
»Er ist tatsächlich verrückt. Und er glaubt an Rache, und zwar in der extremsten Form. Dillon hat seine beiden Brüder umgebracht, also muss Dillon sterben.« Sie drehte sich um. »Das ist das Einzige, was sicher ist, Sean. Er wäre nicht in der Lage, einfach weiterzuleben, wenn du noch am Leben bist.«
»Und Kate?«, fragte Dillon.
»Für die gilt dasselbe. Aristokraten bedeutet die Familie alles,
und in diesem Fall haben wir eine doppelte Dosis – einerseits die Daunceys, andererseits die Rashids. Kate ist sich ihres Stammbaums bewusst und blickt zu Paul als dem Familienoberhaupt auf. Das geht gar nicht anders.«
»Also will sie Dillon womöglich auch umbringen?«, fragte Billy.
»Würde ich sagen.« Plötzlich sah Hannah müde aus. »Ich muss mich ausruhen.«
Die Tür ging auf, und ihr Vater steckte den Kopf herein, noch in seiner Operationskleidung. »Man hat mir gesagt, dass ihr hier seid.«
»Wie geht’s ihm?«, fragte Billy.
»Tja, meine Empfehlung lautet, dass Ihr Onkel angesichts seines Alters versuchen sollte, nicht mehr angeschossen zu werden. Abgesehen davon wird er uns erhalten bleiben.« Bernstein trat zu seiner Tochter.
»Und wie geht’s dir?«
»Bin müde.«
»Dann schlaf jetzt.« Zu den beiden Besuchern sagte er: »Raus.«
Sie setzten sich in Bewegung, doch als Dillon die Tür aufmachte, rief Hannah: »Sean, pass auf dich auf, um Gottes willen. Rashid ist besessen und meint, er muss dich umbringen. Er würde dir sogar selbst entgegentreten. Das wird wie damals in der Wüste sein, Sean. Er will dich selbst erledigen.«
Sie weinte. Arnold Bernstein schob Dillon und Billy durch die Tür und sagte: »Ich komme wieder, Liebes.«
»Sie nimmt es sich sehr zu Herzen«, sagte Dillon.
»Warum nur? Sie hat mich nie gemocht.«
»Sie sind doch ein gescheiter Mann«, sagte Bernstein. »Das müssen Sie sein, sonst wären sie nicht dreißig Jahre lang damit davongekommen, Leute umzubringen. Aber wenn Sie nicht merken, warum sie weint, mein lieber irischer Freund, dann müssen Sie wirklich töricht sein.«
Er ging davon. Billy sagte: »Ich glaube, er meint, sie mag dich, Dillon.«
Dillon steckte sich eine Zigarette an. »Tja, den Eindruck hatte ich auch. Trinken wir eine Tasse Tee und warten wir noch eine Weile hier. Vielleicht darfst du Harry sehen, bevor wir verschwinden.«
Sie gingen in die Cafeteria an der Rezeption, gaben bei einem der Mädchen eine Bestellung auf und setzten sich.
Aidan Bell schlich vom Fluss in die High Street und nahm ein Taxi nach Mayfair. Die letzten paar hundert Meter bis zur Rückfront des Hauses in der South Audley Street ging er zu Fuß. Er läutete an der Küchentür. Kate machte ihm auf und sah ihn bestürzt an.
»Was ist schief gelaufen?«
»Alles. Ist er da?«
»Ja.«
»Dann bringen Sie mich zu ihm.«
Plötzlich zeigte sich Angst in ihrer Miene. »Wo ist Michael?«
»Machen Sie schon.«
Sie brachte ihn in den großen Salon, wo Paul Rashid am Kamin saß und den Kopf hob.
»Was wollen Sie denn wieder hier? Wo ist Michael?«
»Was ich zu sagen habe, kann ich Ihnen nicht schonend beibringen. Dillon ist mit den Salters am Hangman’s Wharf aufgetaucht. Harry Salter habe ich zwar erwischt, aber Dillon hat Ihren Bruder über die Reling gezerrt. Soweit ich gesehen habe, hat er ihm einen Arm um den Hals gelegt und ihn unter Wasser gezogen.«
Kate stieß
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