Auge um Auge - Ein Verehrer schuettete mir Saeure ins Gesicht Jetzt liegt sein Schicksal in meiner Hand
tatenlos zusehen mussten, wie die Säure ihr Kind zerfraß. Erst das linke, dann das rechte Auge, die Brauen, mein Haar, mein Gesicht, meine Zähne, die Hände … Gestern noch war ich Studentin der Elektronik, war eigenständig, hatte Arbeit in einer angesehenen Firma und Aussichten auf eine gute Zukunft. Statt mich, wie andere Frauen in meinem Alter, hübsch zu machen, ein Brautkleid zu tragen und einen Mann zu heiraten, den ich liebe, habe ich mich in Brandwundgaze gepackt, Salben aufgetragen, zahllose Schmerztabletten geschluckt und mich schmerzhaften Operationen unterzogen.
Heute bin ich blind und auf die Hilfe und das Geld anderer Menschen angewiesen. Meine Zukunft ist so ausgelöscht wie mein Augenlicht. Und nun betrachten Sie diesen Mann. Haben seine Eltern oder seine Geschwister sich entschuldigt? Hat er sich entschuldigt? Hat irgendjemand sich auch nur einmal erkundigt, wie es mir geht? Hat jemand Trost gespendet oder wenigstens einen kleinen Funken Anteilnahme gezeigt? Nein! Die Schwefelsäure, die dieser Kerl mir ins Gesicht geschüttet hat, verrichtet ihr heimtückisches Werk unter Umständen über fünf Jahre hinweg. Drei kräftezehrende Jahre sind nun vergangen, in denen auch das letzte bisschen Hoffnung auf die Rettung meines Augenlichts geschwunden ist. Viele schmerzhafte Operationen habe ich hinter und noch unzählige vor mir. Dabei konnte meine Familie mir nicht helfen. Geld für diese Operationen hatten wir weder damals, noch haben wir es heute.
Wir mussten und müssen nach wie vor überall um finanzielle Hilfe bitten und stellen fest: Nur sehr, sehr wenige Menschen sind am Ende bereit, mir und meiner Familie zu helfen. Ich habe oft geweint – auch ohne Augen. Sogar das Glasauge, das ich jetzt trage, kann noch Tränen vergießen. Ich stehe heute hier, um mein Recht auf Vergeltung einzufordern. Diesem Menschen soll – wie mir – das Augenlicht genommen werden. Die Todesstrafe, die er sich wünscht, fordere ich nicht. Euer Ehren, verbinden Sie diesem Kerl für kurze Zeit die Augen, schicken Sie ihn aus dem Saal, und sagen Sie ihm, er solle wieder reinkommen. Oder versuchen Sie das selbst, nur ein einziges Mal.
Ich will Vergeltung. Und zwar nicht für mich alleine. Hier geht es ganz gewiss nicht um Rache, auch wenn viele Menschen glauben, Rache sei mein Hauptmotiv. Nein, nicht rächen will ich mich an ihm, sondern abschrecken. Ihm und seinesgleichen soll ein für alle Mal klar sein: Ihr kommt nicht ungeschoren davon! Denkt gar nicht erst daran, ein Attentat mit Säure zu begehen, denn euch wird das Gleiche geschehen! Vor allem geht es hier nicht um mich allein. Was, wenn er seine Haftstrafe verbüßt hat und die nächste Tat begeht? Wie viele junge Männer haben sein Verbrechen bereits nachgeahmt? Wie viele Eltern fürchten seither um ihre Töchter und Brüder um ihre Schwestern? Wie viele Frauen haben Angst, einen Heiratsantrag abzulehnen, und stürzen sich lieber ins Unglück – nur um unversehrt zu bleiben?
Wissen Sie, wie viele Menschen mir täglich sagen: ›Ameneh, lass ihn nicht davonkommen. Du kämpfst nicht nur für dich allein, sondern für alle Frauen!‹ Euer Ehren, ich will verhindern, dass je wieder ein Mensch so leiden muss, wie ich gelitten habe. Erinnern Sie sich bitte daran, wie Sie sechsundzwanzig oder siebenundzwanzig Jahre alt waren. Erinnern Sie sich daran, wie Sie in jenem Alter Ihr Studium beendet und eine Familie gegründet haben. Und nun versuchen Sie sich vorzustellen, was ich in diesem Alter machen musste. Ich habe fremde Menschen um Geld gebeten, gebettelt für Medikamente, für die besten Ärzte, für Operationen. Nicht eine, nicht zwei, fast zwanzig Operationen liegen bislang hinter mir, und viele weitere werden folgen müssen, weil ich hoffe, dem widerlichen Werk dieser Säure Einhalt zu gebieten.
Junge Frauen in meinem Alter sollten Geburtsschmerzen ertragen und sie in der Freude über ihre Kinder vergessen. Aber sie sollten nicht das ertragen müssen, was dieser Mensch hier mir zugemutet hat. Meine Schmerzen sind mir unvergesslich, und geboren habe ich nichts als ein blindes Wesen – für immer von Dunkelheit umgeben –, dessen Anblick anderen Menschen Furcht einflößt. Euer Ehren, dieser Mann hier hat vor seinen Zellengenossen geprahlt: ›Ich habe eine Tat vollbracht, die mich sechs Monate lang in den Schlagzeilen gehalten hat.‹ Und nun möchte ich eine Tat vollbringen, die der ganzen Welt ewig als Warnung dienen möge. Ich danke Ihnen für Ihre
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