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Auge um Auge - Ein Verehrer schuettete mir Saeure ins Gesicht Jetzt liegt sein Schicksal in meiner Hand

Titel: Auge um Auge - Ein Verehrer schuettete mir Saeure ins Gesicht Jetzt liegt sein Schicksal in meiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ameneh Bahrami
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Großvater hatte immer gesagt: »Stich dich erst selbst, bevor du mit der Ledernadel auf andere losgehst.« Und genau das sollten all die Verrückten wissen: Denkt nicht einmal im Traum an ein Säureattentat, sonst wird auch euer Leben zur Hölle!
    Meine Kritiker argumentierten, Vergeltung sei eine altmodische, unmenschliche Form der Bestrafung. Damit mögen sie sogar recht haben. Aber passt diese Strafe etwa nicht zu all den altmodischen Geistern, die der Meinung sind, dass eine Frau einem Mann um jeden Preis gefügig sein muss – auch gegen ihren eigenen Willen? Ist es vielleicht nicht altmodisch und unmenschlich zu denken, dass, wer hübsch ist, sein Gesicht verhüllen muss, damit nur ja kein Mann verrückt wird?
    Wird das alte Gesetz – Auge um Auge – nicht Menschen, die so denken, am besten gerecht? Es gibt ja konservative Leute, die finden, man müsse Frauen, die sich nicht züchtig genug verschleiern, aus den Großstädten verbannen. Oder noch schlimmer: die Repressalien wegen des zu locker gebundenen Kopftuchs, des Bad-Hijabs, wegen zu enger, kurzer Mäntel, ungenügend langer Hosen, die nur wenige Zentimeter Bein sehen lassen – immer mehr Frauen werden heute einfach verhaftet, weil sie gegen die strenge Kleidervorschrift in der islamischen Republik verstoßen. Es gab keine Aussicht auf Lockerung dieses irrsinnigen gesellschaftlichen Geflechts.
    Dann kam der 25. Juli 2008. Mein Vater, sein Bruder, meine Cousine Parwin, meine Mutter und meine ehemalige Arbeitskollegin Mariam Rassulipanah, die als Zeugin geladen war, warteten mit mir vor dem Gerichtssaal. Es war heiß und stickig in dem Justizgebäude, und auf den Gängen herrschte viel Betrieb. Ständig wurden Angeklagte an uns vorübergeführt – andere Schicksale, über die ich mir keine Gedanken machen konnte, weil Reporter und Journalisten nicht nur Mariam interviewen wollten, sondern auch mich mit so vielen Fragen bestürmten, dass ich sie bitten musste, sich bis nach der Verhandlung zu gedulden.
    Ich wollte mich auf mein Plädoyer konzentrieren. Ich war zwar nicht nervös, musste aber mit meinen Kräften haushalten. Die vielen Medikamente schwächten meinen Körper beträchtlich. Und die Kraft, die ich einmal hatte, war nach den vielen Jahren des Kampfes um meine Gesundheit fast aufgebraucht.
    Plötzlich kam meine Cousine Parwin angelaufen: »Ameneh, als ich eben die Treppe hinaufkam, habe ich einen Angeklagten überholt, der wirkte so locker und entspannt, man hätte glauben können, er sei nur zum Vergnügen hier.«
    »Das könnte er sein«, sagte ich. Und da kam er auch schon den Gang entlang durchs Gedränge. In Hand- und Fußfesseln wurde er von Justizbeamten zu dem Saal geführt. Sofort stürzte sich die Presse auf ihn. Er wehrte ab: »Lassen Sie mich … Keine Fotos, keine Interviews. Es ist allein ihre Schuld, dass ich hier gelandet bin … Hören Sie auf!«
    In kürzester Zeit entstand Unruhe vor dem Saal. Parwin beobachtete ihn und beschrieb mir, was ihr auffiel: »Als sein Blick in dem Gedränge kurz auf dich fiel, muss er wohl erschrocken sein. Er war sekundenlang wie erstarrt, Ameneh – seine Bewacher mussten ihn geradezu in den Saal zerren.«
    Ob man auch ihm erzählt hatte, dass ich in Spanien mein Augenlicht zurückbekommen und überdies mit einem anderen Mann Kinder hatte?
    Man ließ zunächst die Medienvertreter in den Saal, und dann durften auch wir Platz nehmen. In der ersten Reihe. Auf der einen Seite meine Familie und ich, auf der anderen Seite er, neben dem ihn begleitenden Wachbeamten. Mein Vater indes setzte sich direkt neben Madschid. Als meine Mutter ihn fragte, warum er sich ausgerechnet neben dieses Ungeheuer setze, erschrak mein Vater und wurde kreidebleich: »Oh Gott, ist er das? Ich sehe diesen Menschen heute doch zum ersten Mal …«
    Dann wurde es still im Saal. Der Richter und die Beisitzer traten ein. Richter Gheissarieh schilderte in wenigen Worten, dass ich, nach drei Jahren Aufenthalt in Spanien, nun nach Teheran zurückgekehrt sei, um an dieser Verhandlung teilzunehmen. Er beließ es bei der knappen Einführung und erteilte mir das Wort. Ich bat Gott um Beistand – nicht zuletzt, weil ich Husten hatte und inständig hoffte, meine Stimme möge mir nicht versagen. Und dann begann ich mein Plädoyer.
    »Im Namen Gottes – Behnam-e khoda –, Euer Ehren. Dieser Mensch hat mich verbrannt, weil ich ihn abgelehnt, weil ich Nein gesagt habe. Versetzen Sie sich in meine Lage, in die Lage meiner Eltern, die

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