Auge um Auge (German Edition)
in Person. Sie muss doch glauben, ihre Tochter sei ein Miststück. All die Lügen, die Rennie seit unserem Freshman-Jahr über mich verbreitet hat – heute habe ich selbst bewiesen, dass da was dran war.
Ich könnte wetten, genau das hat dieses Aas bezweckt. Sie hat mir das Grab geschaufelt und mich direkt hineingestoßen. Sie weiß ganz genau, wie sie mich auf hundertachtzig bringt.
Aber: Umgekehrt weiß ich das auch. Egal, wie mies Rennie sich mir gegenüber verhalten hat (nämlich verdammt mies!) – ich bin nie auf ihr Niveau gesunken. Warum nicht? Das weiß ich verdammt noch mal selber nicht. Eins ist mir jetzt jedenfalls klar: Ich hätte sie schon längst in ihre Schranken weisen müssen.
Ich beschließe, einen Spaziergang zu machen und eine zu rauchen, um den Kopf freizukriegen. Also ziehe ich meine Stiefel an und gehe zum Hinterausgang raus. Ich kann es nicht brauchen, dass Pat mich wieder anpflaumt und an den Abwasch erinnert. Ich mach’s, wenn ich zurück bin. Falls mir dann danach ist.
Es ist dunkel draußen, und da die Einfahrt voll ist mit Dads Werkzeug, mit Holzsplittern und verbogenen Nägeln, trage ich Shep bis zum Bürgersteig. Ein reiches Ehepaar hat bei Dad eines seiner handgeschnitzten Kanus in Auftrag gegeben, bevor sie Jar Island am Ende der Sommerferien verlassen haben. Wenn sie nächstes Jahr wiederkommen, ist es fertig.
Ich steuere den Wald hinter unserm Haus an.
Diesen Sommer habe ich Alex oft mit hierhergenommen. Auf der anderen Seite ist eine Lichtung, auf der man parken kann und von der aus man einen freien Blick aufs Meer hat. Die Stelle liegt ganz versteckt, eigentlich weiß niemand davon. Ein verborgenes Geheimnis von T-Town. Alex und ich haben uns mit dem Auto dahin gestellt, Musik gehört oder dem Mond zugesehen. Wir waren beide einfach gern zusammen. Es gefiel mir, dass ich bei ihm ganz ich selbst sein konnte. Und ich glaube, ihm ging es genauso.
Rauchend schlendere ich durch den Wald und lasse Shep so lange am Wegrand schnüffeln, wie er will. Als meine Zigarette bis zum Filter abgebrannt ist, zertrete ich den Stummel unterm Stiefel, bis sich die Reste völlig mit Sand und toten Kiefernnadeln vermischt haben.
Als ich wieder aufblicke, sehe ich ihn – Alex’ SUV , auf der Lichtung. Mit einem Mädchen darin.
Ich stolpere rückwärts gegen einen Baum, verstecke mich dahinter. Wer ist sie? Vielleicht die von seiner Party, die, mit der er im Bett gelegen hat? Ich kneife die Augen fest zusammen, um besser sehen zu können.
Klein und zierlich ist das Mädchen. Dunkelhaarig.
O mein Gott, das ist Nadia Cho. Der hab ich mal beigebracht, wie man sich die Schuhe zubindet. Das war mein erster Gedanke.
Und mein zweiter Gedanke: Macht Alex Lind hinter meinem Rücken mit einer anderen rum? Noch dazu mit einer, die gerade mal Freshman ist? Ich kann mir das wirklich nicht vorstellen. Garantiert hat er keine Ahnung, wer sie ist.
Mein Herz schlägt wie wild, während ich weiter zurückgehe. Ich ziehe mein Handy aus der Tasche. Ein Balken. Wie war noch mal ihre Nummer? Tausende von Malen muss ich sie gewählt haben. Drei fünf irgendwas irgendwas. Ich starre auf das Zahlenfeld, versuche die Zahlen vor meinem inneren Auge heraufzubeschwören.
Drei fünf ... vier sieben.
Nach dem vierten Läuten nimmt sie ab. »Hallo?«
Ich spreche leise, behalte den SUV im Auge. »Nur damit du’s weißt: Deine Schwester ist im Auto von Alex Lind, gerade jetzt. Im Wald!«
Das wollen wir doch mal sehen, wie verschwiegen Alex noch ist, wenn Lillia ihn zur Strecke bringt und ihm am liebsten die Eier mit der Nagelfeile absägen würde!
Einen Moment lang ist es still, dann fragt Lillia: »Wer ist da?«
»Ich bin’s, Kat. Hast du mich verstanden? Ich hab gesagt, drei Meter entfernt von mir sitzen Alex und deine Schwester im Auto und knutschen!«
»Kat, meine Schwester ist zu Hause.«
Wieder spähe ich in die Dunkelheit. Es ist schwer, einen besseren Blick aufs Auto zu bekommen, aber ich könnte schwören, dass das Mädel da drin Nadia ist. »Lillia, ich mache keine Witze. Normalerweise wäre mir das scheißegal, aber es ist nun mal so, dass Alex und ich zusammen sind. Mehr oder weniger jedenfalls.«
»Meine Schwester sitzt neben mir auf der Couch. Ich hab keine Ahnung, was du vorhast, aber egal was, lass es. Und bitte ruf mich nicht wieder an.«
Als ich den Mund öffne, um ihr zu sagen, dass ihre Schwester vor zwei Tagen mit Alex im Bett war, höre ich ein Klicken in der Leitung. Wieder schaue ich
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