Augenblick der Ewigkeit - Roman
die Fäuste und gab sich ganz den Triumphgefühlen hin. So mußte sich der Führer gefühlt haben, als er im Jubel der Wiener, die ihn als jungen Mann verachteten, die Heimkehr seiner Heimat in das Deutsche Reich verkündet hatte.
Das Konzert am gestrigen Abend war ein überwältigender Erfolg gewesen. Tusch, Fanfare und großes Finale! Huldigung des › großen Helden‹ in einer pompösen Totenfeier vor der nächtlichen Kulisse des gotischen Veitsdoms und der mittelalterlichen Burg. Im Trommelgewitter projizierten Flakscheinwerfer mächtige Lichtsäulen in den Himmel und vereinigten sich zu einem flammenden Kranz, der wie eine Aureole über dem aufgebarten Helden schwebte. Eine in blendende Helle getauchte Phalanx schwarzer SS- und brauner SA-Kolonnen marschierte mit gesenkten Standarten in den Hof und scharte sich in einem Meer von Hakenkreuzfahnen um den Märtyrer der Bewegung. Dazu feierte in einer Szenerie immerwährender Exaltation ein tausendköpfiges Heer von Musikern und Sängern im Parallelorganum archaischer Quarten und Quinten den Tod des Gefolgsmannes.
»Ihr seid viel tausend hinter mir,
und ihr seid ich und ich bin ihr.
Ich habe keinen Gedanken gelebt,
der nicht in euren Herzen gebebt.«
Das gesamte verführerische Blendwerk aus Fackeln, Lichtsäulen, martialischen Marschkolonnen und wehenden Fahnen hatte nur das eine Ziel: den versammelten Massen einen Schauder einzujagen vor Weltenbrand und Götterdämmerung. Von einem hohen Podium herab hatte er mit Hilfe mehrerer Subdirigenten das um das Stabsmusikkorps der Waffen-SS verstärkte Prager Symphonieorchester dirigiert sowie einen fast tausendstimmigen Chor, der auf die Frage des Führers nach Gefolgschaft nur stumpf und unisono antwortete. » Wir alle glauben, Deutschland, an dich!«
Die Musik war primitiv und in ihrer brutalen Kunstfertigkeit verführerisch. Die Strophen endeten jeweils in einer vermindernden Terz, um am Ende des Kantatensatzes in hellen Durakkorden zu erstrahlen, ein wirkungsvolles Mittel, die theatralischen Effekte zu steigern und die in ihrer Todessehnsucht verschworenen Volksgenossen auf zukünftige Schlachten und kommende Kriege einzustimmen.
Auf sein letztes Handzeichen hin fielen Licht und Musik zurück in Dunkelheit und Todesstille, und die aufgeputschte Masse jubelte dem Reichsprotektor zu. Da liefen auch ihm kalte Schauer über den Rücken. Die Nazis verstanden es, den Tod zu feiern!
Der Ministerpräsident und Generalfeldmarschall, der als Vertreter der Reichsregierung extra aus Berlin eingeflogen war, gratulierte ihm und versprach, ihn ganz groß zu machen. Aber daß das so schnell geschehen würde, damit hatte er nicht gerechnet.
Er ging zurück ins Zimmer, ließ sich in einen Sessel fallen und legte den Arm über die Augen. Dann brach er in ein lautloses Gelächter aus, das ihn so schüttelte, daß es aussah, als würde er weinen. Gudrun, die mit einem Telegramm in der Hand ins Zimmer gekommen war, schaute ihn betroffen an. » Du weinst? Dann weißt du es also schon.«
Sie stand im Bademantel vor ihm, das Gesicht noch schlafverwischt.
» Ja, Krausnik hat mir gerade zur Ernennung zum Staatskapellmeister gratuliert! Göring war von der Aufführung gestern abend restlos begeistert. Und stell dir vor– ich soll zum Fünfzigsten des Führers…«
Sie schüttelte den Kopf und unterbrach ihn. » Deine Mutter liegt im Sterben…«, sie streckte ihm das Telegramm hin, » …hier, lies! Ein Telegramm aus Karlsbad. Es wurde gerade von einem Boten abgegeben.«
Wortlos nahm er ihr das Telegramm aus der Hand und überflog den Inhalt. » Ich kann jetzt nicht…«
Er ließ das Telegramm aus den Fingern gleiten und zuckte mit den Schultern.
» Was kannst du nicht?«
» Ich habe Befehl, auf dem schnellsten Weg zurück nach Berlin…«
» Was sagst du da? Du kannst deine Mutter in ihrer letzten Stunde nicht alleine lassen!«
Er hob das Telegramm vom Boden auf, überflog es erneut und stand auf. Er fühlte sich außerstande, in einem so entscheidenden Moment seiner Karriere seine sterbende Mutter zu besuchen, und redete sich ein, daß seine Gegenwart weder ihr Leben verlängern noch ihr Leiden mindern würde.
» Göring hat mich in sein Ministerium beordert. Die Proben für das Galakonzert sind für den Abend angesetzt.«
» Ich dachte, für solche offiziellen Feierlichkeiten sei eigentlich Furtwängler zuständig?«
» Furtwängler hat Goebbels einen Korb gegeben, und dafür bekomme ich von Göring jetzt die
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