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Augenblick der Ewigkeit - Roman

Titel: Augenblick der Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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Mund wurde weicher, und für den Bruchteil von Sekunden sah er ihre Verletzlichkeit, die sie schnell wieder hinter einem Lächeln verbarg. » Ja, manchmal sehne ich mich nach Zuhause…«
    Franziska zögerte, denn plötzlich war ihr klargeworden, daß nach dem Tod ihrer Mutter Karl der einzige war, der noch wußte, wie es in ihrer Kindheit ausgesehen hatte. Wie warm der » schöne Sommer zweiundzwanzig« gewesen war und wie sie die teuren Erstausgaben ihres Vaters beim Eisenstädter Antiquar Schwertfeger versetzt hatten, um das immer wertloser werdende Geld beim Zuckerbäcker Ferency in Eiscreme und Dobostorte anzulegen. Oder wie er ihr auf dem Steg den Nachthimmel erklärt hatte und sie sich küßten. Oder wie sie im Waldsee schwammen und sich von der Sonne trocknen ließen und sie ihn mitgenommen hatte in die Eisenstädter Schul, zu den orthodoxen Juden der Esterházyschen Siebengemeinde– ja, daß Karl die Welt von Reb Simon Löwy aus Frauenkirchen, Reb Moses Perls aus Kittsee, Reb Jakob Grünwald aus Deutschkreuz, Reb Moses Kretsch aus Eisenstadt, Reb Samuel Ehrenfeld aus Mattersdorf bezeugen konnte, die von den Nazis ausgerottet worden war. » …aber unser Zuhause gibt es nicht mehr.«
    Sie zog wie zur Abwehr das rechte Knie noch enger an den Leib. » Ich bin jetzt amerikanische Staatsbürgerin geworden, weil ich nicht länger einem Volk angehören wollte, das von allen anderen verachtet wird.«
    » Das habe ich in New York zu spüren bekommen.«
    » Steinberg hat mir davon berichtet.«
    » Danke, daß du ihn dazu überredet hast.«
    » Danke für das Privatissimum in der Carnegie Hall.«
    » Warum bist du nicht geblieben? Ich wollte mit dir über alles reden…«
    Sie ließ ihren Fuß los und kramte in ihrer Handtasche nach einer Zigarette. » Da war ich noch nicht soweit.« Erst jetzt, nachdem Gottwalt mit Karl die Friedenspfeife geraucht hatte, war sie dazu bereit gewesen und hatte die Einladung zum Abendessen angenommen.
    » Sag nur, du rauchst?«
    Sie kannte den vorwurfsvollen Tonfall von früher, wenn er sie gängeln wollte. Nun erst recht, dachte sie und schubste sich eine Zigarette aus dem Päckchen, riß das rosa Schwefelköpfchen eines Papierstreichholzes über die Reibfläche und zündete die Zigarette mit abgespreiztem kleinem Finger an. » Alle Frauen rauchen hier. Dumme Angewohnheit!« Sie wedelte das Streichholz aus und legte es sorgfältig in einen Aschenbecher. » Und du, was führt dich her?«
    » Die Tournee ist abgesagt. Zum ersten Mal seit langem hab ich Zeit. Und du– hast du Zeit?«
    » Was meinst du mit– hast du Zeit?« Sie pickte sich einen Tabakkrümel von der Zungenspitze, und ihre schwarzen Brauen wölbten sich wie zwei Fermaten über ihren Augen.
    Doch bevor er antworten konnte, wurde die Tür aufgerissen, und die Zwillinge kamen hereingestürmt. Mama stellte die dampfende Schüssel mit dem Hotchpotch auf den Tisch, und der aufgekratzte Herr Papa folgte mit einem Tablett gespülter Gläser. » Ringedingding – möchte jemand Sherry? Wir haben aber auch harte Sachen!«
    Zur Erinnerung fürs Gästebuch mußte sich Karl an einer Mahagonisäule mit einem rothaarigen Porzellanpüppchen fotografieren lassen, dann wurden er und Franziska nebeneinandergesetzt, den Zwillingen gegenüber, die mit kerzengeradem Rücken auf ihren Shakerstühlen saßen und ein bezauberndes Doppelbild abgaben. Wieviel lieber wäre er jetzt mit Franziska allein gewesen. Statt dessen mußte er sich an der Konversation beteiligen, bei der sich alles nur um Emigrantenschicksale drehte. » …und wie sind die Orchester hier in Amerika?«
    » Im allgemeinen recht gut, aber nicht zu vergleichen mit dem Gewandhausorchester oder den Wienern. Solange noch die Emigranten hier waren, haben wir viel Kammermusik gemacht. Da ging es in unserem Haus recht lebhaft zu. Aber jetzt…«
    Schon beim Betreten des Hauses waren ihm die vielen Erinnerungsfotos an den Wänden der Hallwayaufgefallen, als die Größen der Emigrantengemeinde noch von überall gekommen waren, um dem GMD zu huldigen.
    » …doch kaum einer von ihnen blieb nach dem Krieg. Die meisten gingen nach Europa zurück– es sei denn, sie wurden daran gehindert.« Er machte eine kleine Kopfbewegung in Richtung Waldrand. » Ihr kennt doch alle die Geschichte von den zwei Freunden, der eine segelt von Europa nach Amerika, der andere in die entgegengesetzte Richtung. Sie treffen sich mitten auf dem Ozean und einer ruft dem anderen zu: ›Ja, bist du denn

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