Augenblick der Ewigkeit - Roman
wahnsinnig?‹«
» Erst kürzlich war doch Alma Mahler bei uns zu Besuch.« Mit stummer Pantomime ahmten die beiden Mädchen das madamige Puppenglotzen der Matrone nach, falteten die Hände wie zum Schlaf an ihren Wangen und machten einen Kußmund.
» Ja, ja, die Alma, › die Hüterin des Feuers‹, wie Werfel sie nannte, wohnt jetzt in der Upper Eastside in einer Etagenwohnung, schreibt ihre Memoiren und müffelt nach Champagner. Sie galt einmal als schönstes Mädel von Wien. Jetzt ist sie zu einer aufgequollenen Walküre geworden…«
» Wir haben sie noch als eine schöne Frau erlebt, mit großem Busen, üppig, fleischig, imposant, Anfang der zwanziger Jahre…« Karl merkte nicht, wie Franziska neben ihm die Augen senkte, als wollte sie nicht, daß er an ihre gemeinsame Vergangenheit rührte. » …weißt du noch, Franziska, auf dem Jour fixe im Salon deiner Mutter. Sie kam in Begleitung von Franz Werfel, ein prächtig aufgetakeltes Schlachtschiff mit einem regenschirmgroßen Hut. Sie trug lange fließende Gewänder, um ihre Beine nicht zu zeigen, und sah aus wie Brünhilde in einer Fledermaus -Inszenierung. Wir waren damals fast noch Kinder und haben uns halb totgelacht. Erinnerst du dich noch, Franziska?«
Er war so froh, endlich etwas Eigenes zum Tischgespräch beizutragen, daß er gar nicht merkte, wie verlegen er sie damit machte. » Sie war das, was man eine Muse nennt. Liebe als Quelle von Macht! Sie wollte geliebt werden, um Macht über ihren jeweiligen Verehrer zu gewinnen. Als Gegenleistung räumte sie ihm alle Schwierigkeiten aus dem Weg und lebte nur für ihn. Ihr Glück fand sie allein darin, andere glücklich zu machen.«
Aus den Augenwinkeln bemerkte er, wie Franziska plötzlich rot geworden war.
Wie konnte er wissen, daß sie nach jener verhängnisvollen Premiere in Brünn auf die Vorwürfe ihres Vaters in ganz ähnlichem Sinn geantwortet hatte– ihr Glück für das seine zu opfern, um selber glücklich zu werden. Schweigsam fuhren sie durch leere Straßen, an properen weißgestrichenen Holzhäusern vorbei und unter Straßenlampen hindurch, die über den Kreuzungen der Main Road Wache hielten.
Nach dem Dinner hatte sie sich bereit erklärt, Karl, der am nächsten Morgen wieder in New York sein mußte, zum Busbahnhof zu bringen. Die mondgroße Normaluhr an der Station zeigte kurz vor Mitternacht. Karls Bus ging erst in einer halben Stunde, und so hatten sie noch etwas Zeit.
» Du hast meine Frage von vorhin noch nicht beantwortet.« Karl sah sie von der Seite an. Die Lichter der Straßenlampen strichen beständig über sein Gesicht.
» Ich denke noch darüber nach.«
» Und– hast du Zeit?«
» Ich weiß nicht, für was es gut sein soll. Wie heißt es im Märchen: Die Ente hat das Huhn geliebt. Als sie zusammen vom Bauernhof geflohen waren und den See erreichten, schwamm die Ente auf das Wasser hinaus, und das Huhn, das ihr aus Liebe folgte, ertrank.«
» Die Ente konnte nicht umkehren und das Huhn retten, weil sie in einen Strudel geraten war, der alles mit sich riß.«
» Mir war, als wäre an meinem Lebensstrang gedreht worden, bis ich fast daran erstickte.«
Wieder strich ein Lampenstrahl über sein Gesicht. » Also, was ist? Hast du Zeit…«
Sie parkte den Wagen vor der Busstation und schaltete den Motor aus. Sie fühlte sich so hilflos und zerbrechlich. Nach einer stummen Weile drehte sie sich zu ihm hin, und ihr Kopf berührte mit verneinenden Bewegungen seine Stirn. Dann legte sie ihre Hand auf seine Schulter und schob ihn zurück. » Leb wohl, mein Karel!«
Karl nahm wortlos seine Reisetasche vom Rücksitz und stieg aus. Sie sah ihm nach, wie er über den Parkplatz ging und in den leeren Bus einstieg, der mit laufendem Motor und offener Tür auf die Passagiere wartete. Als der Bus die Türen schloß, um abzufahren, stieg sie aus und rannte ihm wie ein verspäteter Fahrgast hinterher. Der Fahrer öffnete noch einmal die Flügeltüren. Karl stand schon in der Tür und streckte ihr die Hand entgegen. Doch Franziska schüttelte den Kopf. » Ich wollte dir nur noch sagen, das nächste Mal, wenn du nach Stockbridge kommst, kannst du bei mir übernachten.«
Schon bald nach jenem Abend hatte Karl sein Studio in Greenwich Village aufgegeben und war mit Sack und Pack zu ihr nach Stockbridge gezogen. Als die Bostoner Symphoniker– das Orchester in residence des Musikfestivals Tanglewood unter der Leitung von Serge Kousevitzky– davon hörten, bot man ihm einige Sonderkonzerte
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