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Augenblick der Ewigkeit - Roman

Titel: Augenblick der Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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zurück.
    Nach einer Weile hörte sie, wie er das Arbeitszimmer des Bungalows durch die offene Panoramatür betrat. Sie flüchtete ins Badezimmer, wischte sich mit Zeigefinger und Daumen die Feuchtigkeit aus den Mundwinkeln und zog sich an.
    Herzog schaute nicht einmal auf, als sie den Raum betrat, und blätterte in den Noten, die auf der Arbeitsplatte ausgebreitet lagen. » Ein Oratorium nach › Briefen Todgeweihter des Widerstands gegen Hitler‹ also. Das macht er nur, um gegen mich zu protestieren…«
    Er trug dunkelbraune Slippers ohne Socken und weiße Shorts. Auf dem Rücken und unter den Achselhöhlen seines gestreiften Hemds hatten sich Schweißflecken gebildet. Wahllos schlug er eine Seite in dem Textbuch auf und las: » …heute schreibt Euch Eure Tochter zum letzten Mal. In zwei Stunden werde ich hingerichtet. Darum nehme ich von Euch, liebe Eltern, jetzt Abschied. Verzweifelt nicht, daß Euer Kind nicht mehr da ist. Wenn ich sterbe, möchte ich all Eure Traurigkeit und Euren Schmerz mit mir nehmen. Leidet nicht und weinet nicht! Ich liebe und achte Euch so sehr. Meine liebste Mama und Du Papa, geliebte Menschen, liebes Leben, liebe Welt, ich knie vor Euch nieder. Liebt mich und verzeiht mir… »
    Er verzog den Mund, als hätte er auf etwas Unangenehmes gebissen, und legte das Buch zurück auf den Tisch. » Ja, das sind erschütternde Dokumente über die Unzerstörbarkeit der menschlichen Seele. Nicht wahr, Joachim…«, Joachim war hinter Maria aufgetaucht und stopfte sich das Hemd in die Bermudas, » …damit stehst du wieder einmal auf der sicheren Seite der Guten, im Gegensatz zu all den bösen Nazis, zu denen er selbstverständlich auch mich zählt. Sie müssen nämlich wissen, Mademoiselle…«
    Er blickte auf und sah zum ersten Mal Maria an, die sich beeilte, ihm zuvorzukommen. » Ratazzi, Maria Ratazzi…«
    » Ratazzi? Schon mal gehört. Sind Sie nicht in Straßburg engagiert, als zweite Kapellmeisterin bei dem Kollegen Bour?«
    Maria nickte. Der falsche Hund. Natürlich hatte er sie sofort erkannt.
    » Sie müssen nämlich wissen, Mademoiselle Ratazzi, er denkt, ich ganz allein sei für die Verbrechen der Hitlerei verantwortlich, und er müsse jetzt für die Schuld seines armen Vaters büßen.« Sein Gesicht verzog sich angeekelt. » Meine beiden Kinder schämen sich für ihren Vater, weil der in seinen jungen Jahren mal Parteigenosse gewesen ist. Meine Tochter hängt sich Poster von Che Guevara übers Bett und will mit ihrem Cello für die sozialistischen Befreiungsbewegungen kämpfen, und Joachim versucht, mit seiner hochartifiziellen Musik die proletarischen Massen aufzuklären, und übersieht dabei, daß kein Schwein sie hören will.«
    Maria hob beide Arme über den Kopf und verschränkte die Hände ineinander. » Doch, ich! Mir hat seine Musik sehr gut gefallen!«
    » Gefallen? Man kann nicht gerade sagen, daß das hier schön ist.«
    Joachim nahm seinem Vater das Notenblatt aus der Hand und legte es wieder zurück zu den anderen. » Meine Musik soll auch nicht schön sein. Sie dient nicht der Erbauung, sondern der Erschütterung.«
    » Und warum schreibst du nicht mal etwas, was den Menschen gefällt?«
    » Gefällt es den Vietnamesen, daß die Amerikaner Bomben auf sie schmeißen?«
    » Was hat das bitte mit Musik zu tun?«
    » In der Kunst ist das eine nicht vom anderen zu trennen. Musik nicht von der Politik…«
    » Sehen Sie, Mademoiselle Ratazzi, gleich fängt er wieder mit seinem Auschwitz an. Laß doch endlich mal die Vergangenheit in Ruhe, mein Junge.«
    » Nicht ich– sie holt uns täglich ein. Auschwitz und Hiroschima sind überall, egal, ob man darüber redet, schweigt, flucht, vergißt oder verdrängt wie du!«
    Maria hatte sich umgedreht und ihre Hand beschwichtigend auf Joachims Arm gelegt. » Laß mich, Maria!«
    Er stellte sich vor seinen Vater hin, der einen Kopf kleiner war als er. Maria dachte, wie wenig ähnlich er seinem Vater sah, und doch war er ihm ähnlicher, als er wahrhaben wollte.
    » Es muß endlich Schluß sein, sagst du? Egal, ob man Abbitte leistet oder Wiedergutmachung, Denkmäler errichtet oder Gräber schändet, das sind alles untaugliche Fluchtversuche aus der uns zugewiesenen Identität, die kein Deutscher abzustreifen vermag. Die Gnade der späten Geburt ist eine Illusion, die Wunde Auschwitz ist offen. Wie über etwas reden, über das man nicht reden kann, wie über etwas schweigen, über das man nicht schweigen darf: Davon handelt meine

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