Augenblicklich ewig
erschöpft. Es war zu dunkel und zu spät zum Fotografieren. Er würde bis zum nächsten Morgen damit warten müssen. Unruhig und unzufrieden legte er sich ins Bett.
Während er in dieser Woche durch die Straßen streifte, ertappte er sich häufiger dabei, wie sein Blick an der einen oder anderen Dame hängen blieb, die zumindest von hinten Ähnlichkeit mit Polly hatte. Wann immer er am Romanischen Café vorüberging, spähte er kurz hinein und ärgerte sich im gleichen Moment über sich selbst. Zum einen hätte er Polly, wäre sie dort gewesen, ohnehin nicht durch die Scheibe sehen können, zum anderen fürchtete er, eine regelrechte Besessenheit von ihr zu entwickeln, die ihm nicht gut tat. Nachts träumte er von ihr und tagsüber suchte sein Blick sie in der Stadt. Das konnte nur falsch für einen Mann sein, der sich weder binden noch verlieben wollte. Paul war ihm ein warnendes Beispiel. Er würde den Teufel tun und sein Glück von einer Frau abhängig machen. Deshalb und weil er Paul immer noch nicht so recht verzeihen konnte, ging er die ganze Woche über nicht in die Bar. Weder Paul noch Polly waren momentan der richtige Umgang für ihn.
Am Freitag traf er zum letzten Mal vor der Eröffnung den Galeristen, um sich die Wände anzusehen, die der Mann ihm zur Verfügung stellen wollte. Der Galerist hatte ihm ein paar kleinere Flächen innerhalb der Ausstellung von Malereien bekannter Berliner Künstler versprochen. Sam hoffte, sie würden ausreichen, um zumindest einen repräsentativen Teil seiner Arbeiten zeigen zu können.
Er begrüßte den Galeristen, einen schmalen Mann, der wie viele, die sich der Kunst verschrieben hatten, ausschließlich Schwarz trug. Sam wusste nicht so recht, was es mit der düsteren Trauerkleidung auf sich hatte. Er selbst empfand seine Kunst als Bereicherung und keineswegs als deprimierend. Den Dichtern und Malern, die Sam aus dem Romanischen Café kannte, schien es jedoch anders zu gehen und der Galerist tat es ihnen nach. Er hatte keine Ahnung, woher dieses düstere Gefühl stammte, aber er mochte den Mann trotzdem und war ihm überaus dankbar für die einmalige Gelegenheit. Seit ihrem zufälligen Aufeinandertreffen im Café, bei dem sie über seine Ausrüstung ins Gespräch gekommen waren, hatten sie sich bereits mehrfach wiedergesehen.
Heute präsentierte der Mann ihm die Bilder, die er ausstellen wollte. Sam war froh, dass die meisten Fotos seiner Auswahl dem Galeristen gefielen. Der Straßenarbeiter war selbstverständlich dabei und auch die Maschinen. Sam selbst mochte alle ausgewählten Bilder, schließlich hatte er sie genau deshalb ausgesucht. Für ihn war eine kleine Ecke direkt am Eingang vorgesehen und er freute sich sehr darüber. So würden die Besucher seine Fotos sehen, noch bevor sie sich den Malern zuwandten oder ihnen gar die Lust am Anschauen der Kunst ganz verging. Besser hätte er es nicht treffen können.
Sam konnte es kaum erwarten, seine Bilder an den Wänden zu sehen. Den Besuchern zu zeigen, wie er das Licht eingefangen, die richtige Perspektive gewählt und damit den Moment auf Papier gebannt hatte. Seine Bilder zeigten die Welt, wie sie sich darstellte, und oft so viel mehr. Das war es, was ihn an der Fotografie faszinierte. Er brauchte die Welt, damit sie ihm ein Motiv lieferte. Er war gerne unter Menschen. So gerne er auch in seiner Dunkelkammer arbeitete, auf Dauer war die Abgeschiedenheit nichts für ihn.
Genau aus diesem Grund beschloss er, nachdem er sich von dem Galeristen verabschiedet hatte, in der Bar einzukehren und sich hoffentlich den einen oder anderen Schluck Wein mit Paul zu genehmigen. Er war guter Dinge, was seine Ausstellung betraf, und vielleicht hatte sein Freund inzwischen eingesehen, dass es mit dem Heiraten nicht eilte. Außerdem war die passende Frau längst nicht gefunden.
Als er die Bar betrat, ließ er den Blick über die Menschen an der Theke schweifen, um Paul auszumachen, den er verlässlich jeden Freitag an der gewohnten Stelle finden konnte. Er entdeckte ihn sofort und ihm stockte der Atem. Da stand Paul wie immer an der Bar. Nur ließ er heute nicht den Blick über die anwesenden Damen schweifen. Er unterhielt sich angeregt mit Polly. Unvermittelt verspannten sich Sams Kiefermuskeln und Wut ballte sich in seinem Magen zusammen. Mit an den Seiten herunterhängenden, geballten Fäusten starrte er seinen Freund und die Frau, die ihn ständig in seinen Träumen verfolgte, an. Paul schien einen Scherz gemacht
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