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Augenblicklich ewig

Augenblicklich ewig

Titel: Augenblicklich ewig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Neuberger
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mir.« Ein schmerzlicher Ausdruck legte sich auf seine Züge.
    »Ich weiß.« Sam vermisste seine Tante ebenfalls und konnte sich kaum vorstellen, wie schlimm es für seinen Onkel sein musste. »Dennoch. Die Zeiten haben sich geändert. Heute muss niemand mehr jung heiraten.«
    »Da magst du recht haben, mein Junge, aber es spricht auch nichts dagegen. Warum sollte Paul sein Leben allein verbringen, wenn er es mit einer guten Frau teilen kann?«
    »Die muss er erst einmal finden.«
    »Das ist natürlich die Voraussetzung für eine gute Ehe. Ich hatte Glück. Deine Tante und ich kannten uns kaum und waren, wie sich herausstellte, dennoch die Richtigen füreinander. So ein Glück hat nicht jeder.«
    Sam schnaubte und aß die Suppe schweigend zu Ende. Sein Onkel verabschiedete sich bald, um wieder in die Fabrik zu fahren. Vor dem Abend würde er nicht zurückkehren.
    Nach dem Essen zog Sam sich wieder auf sein Zimmer zurück, um seinen inzwischen ausgewachsenen Kater zu kurieren.
    Diesmal zog er seine Kleidung aus und hängte sie über den Stuhl, bevor er sich in Unterwäsche wieder auf dem Bett ausstreckte. Erst jetzt kam ihm der seltsame Traum der letzten Nacht wieder in den Sinn. Die Übelkeit, die er gespürt hatte, konnte er getrost auf den Alkohol schieben. Aber die Freiheitsstatue? Er kannte das Wahrzeichen nur von Bildern. So nah, wie er ihr im Traum gewesen war, hatte er sie jedoch auf Aufnahmen noch nie gesehen. Und warum war er so seltsam gekleidet gewesen? Es war bereits sein zweiter Traum, in dem er einen altmodischen Anzug getragen hatte. Er schüttelte den Kopf. Seine Träume wurden immer verrückter. Zumindest hat dieser Traum nicht von Polly gehandelt, dachte er und döste langsam ein.
    Als er wieder aufwachte, fühlte Sam sich schon wesentlich besser. Die Sonne stand tief und er überlegte, ob er heute Abend ausgehen sollte, entschied sich aber dagegen. Sein Körper hatte noch mit den Folgen seiner Trinkerei zu kämpfen und er hatte keine Lust, Paul zu begegnen, solange er ihm seine Entscheidung noch übel nahm. Und eine Frau wollte er aus dem gleichen Grund auf keinen Fall treffen. Er würde nicht in die gleiche Falle tappen wie sein Freund. Stattdessen betrat er seine Dunkelkammer. Wie immer umfing ihn sofort eine tiefe Ruhe. Er fühlte sich wohl, umgeben von seinen Fotografien. Und wie so oft, wenn er die Tür hinter sich schloss, war er seinem Onkel dankbar, weil dieser die Dunkelkammer für ihn eingerichtet hatte, sobald er gemerkt hatte, dass das Fotografieren mehr als nur ein vorübergehendes Interesse für Sam war und er nicht damit aufhören würde, sobald er älter wurde. Den Rest des Abends arbeitete er konzentriert und entwickelte die Fotos der Fabrikantentochter und einen ganzen Stapel an Aufnahmen, die er in den letzten Wochen als Inspiration für seine Ausstellung gemacht hatte.
    Es waren Bilder, die er mit der Kleinbildkamera bei einem Streifzug durch die Stadt gemacht hatte. Er betrachtete die Motive und überlegte, welche davon potentiell interessant genug waren, um sie noch einmal mit seiner großen Kamera zu fotografieren und so Fotos in einer besseren Qualität zu erhalten. Er bedauerte, einige der Motive nicht wieder einfangen zu können. Eine Gruppe von Menschen, ein Hund, der durch die Straßen streunte und das Blatt im Wind würden nicht mehr da sein, wenn er den Ort erneut aufsuchte. Er musste wohl oder übel mit den kleinen Abzügen vorlieb nehmen. Nur selten hatte er das Glück, ein neues, perfektes Fotomotiv zu entdecken, wenn er gerade mit seiner großen Kamera unterwegs war. Er überlegte, ob eines der Fotos für seine Ausstellung im Frage kam, aber im Grunde hatte er bereits alle Fotos beisammen. Dennoch spürte er trotz der späten Stunde diesen unbändigen Drang in seinem Inneren, der ihn wieder und wieder auf die Straßen von Berlin trieb, auf der Suche nach neuen Motiven und dem perfekten Bild. Ob er dieses eine, ganz besondere Foto jemals schießen würde, wusste er nicht. Vielleicht ging es jedoch gar nicht um das eine Bild, sondern darum, den Moment oder sogar die Zeit, in der er lebte, einzufangen. Das Gefühl, auf der Suche zu sein, trieb ihn an und war ein Teil von ihm. Selbst wenn er die unzähligen neuen Bilder betrachtete, hatte er jetzt schon, kurz nach dem Entwickeln, das Bedürfnis, loszuziehen. Er fühlte sich rastlos. So als hinge sein Leben oder sogar Glück davon ab, sich auf die Suche nach einem neuen Motiv zu machen. Er verließ die Dunkelkammer

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