Augenblicklich ewig
hatte er zu viel getrunken. Das war sicher. Sein Schädel dröhnte bereits, obwohl der Alkohol noch nicht einmal seine volle Wirkung entfaltet hatte. Er schleppte sich mühevoll in sein Zimmer. Das Dienstmädchen, das bereits auf den Beinen war und kopfschüttelnd an ihm vorbei ging, beachtete er nicht weiter. Er ließ sich vollkommen angezogen, noch mit Schuhen an den Füßen auf sein Bett fallen und betete, er würde einschlafen, bevor sein Magen den Kampf gegen den Alkohol verlor.
Sam blinzelte, der Wind blies ihm einige Strähnen ins Gesicht und trieb ihm die Tränen in die Augen. Obwohl er sich bemühte, konnte er sein Ziel nicht erkennen. Er trug einen seltsamen Anzug, der zwar elegant, aber dennoch vollkommen altmodisch wirkte. Das Wasser um ihn herum schlug gegen das Boot und brachte es ins Schwanken. Ihm wurde leicht übel und er hoffte, die Fahrt würde bald vorbei sein. Noch einmal drehte er sich verwirrt um und versuchte, die Gebäude am Ufer zu erkennen, um herauszufinden, wo er war. Aber weder die Menschen um ihn herum im Boot noch die Gebäude hatten klare Umrisse. Lediglich eine kleine Gestalt am Ufer ließ sich ausmachen. Dem Kleid nach zu urteilen eine Frau. Sam kniff die Augen zusammen, aber sie waren bereits zu weit draußen auf dem Fluss, um sie genauer betrachten zu können. Er glaubte für einen kurzen Moment zu sehen, wie sie die Hand hob und winkte, aber schon verschwamm das Bild wieder vor seinen Augen. Er drehte sich wieder in Fahrtrichtung, weil sein Magen rebellierte, und staunte. Vor ihm erhob sich imposant und riesengroß eine verhüllte Statue: Die Freiheitsstatue. Er war auf dem Weg nach Liberty Island.
Noch ehe Sam die Augen aufschlug, wusste er, dass ihm ein grausamer Tag bevorstand. Sein Kopf schmerzte furchtbar und seine Arme und Beine standen dem in nichts nach. Er hätte weniger trinken sollen, aber gestern Abend hatte er es für eine gute Idee gehalten, seinen Ärger und Frust über Pauls Hirngespinste mit gutem Wein hinunterzuspülen.
Ächzend kam Sam auf die Beine und schleppte sich ins Badezimmer. Ein Blick in den Spiegel sagte ihm, dass er besser aussah, als er sich fühlte. Dennoch befreite er sich von seiner völlig verknitterten Kleidung und wusch sich ausgiebig, in der Hoffnung, so einige Lebensgeister wieder zu erwecken. Er zog sich eine bequeme Hose und ein leichtes Hemd über, bevor er hinunterging, um einen Schluck Wasser zu trinken und vielleicht etwas zu essen. Er hoffte, sein Magen würde ihm eine kleine Mahlzeit danken. Als er das Speisezimmer betrat, traf er einmal mehr auf seinen Onkel, der gerade zu Mittag aß. Der Mann arbeitete gewöhnlich sieben Tage die Woche, gönnte sich aber zumindest an den Wochenenden ein Mittagessen zu Hause.
»Samuel, wie schön. Setz dich doch. Langsam werden unsere gemeinsamen Essen schon zur Routine.« Er lachte. »Na gut, wahrscheinlich begründen zwei Essen in einer Woche noch längst keine Tradition, aber ich freue mich, dich zu sehen.«
»Onkel, entschuldige, ich habe gestern zu viel getrunken. Ich fürchte, ich bin noch nicht ganz auf der Höhe.« Sam setzte sich auf seinen Platz und das Mädchen brachte ihm sofort einen Teller Suppe. Er war froh über die klare Brühe mit Hühnerfleisch, Kartoffeln und Gemüse. Genau das Richtige in seinem Zustand. Den Wein lehnte er jedoch ab und nahm stattdessen einen großen Schluck Wasser.
»Warst du mit Paul unterwegs?« Sam nickte. »Und gab es etwas zu feiern, oder habt ihr ganz ohne Anlass zu tief ins Glas geschaut?«
»Lass mich mit dem in Ruhe«, grummelte Sam vor sich hin und brachte damit seinen Onkel auf die Spur.
»Ärger?«, fragte dieser.
»Paul will heiraten«, motzte Sam.
»Und?« Sein Onkel sah ihn fragend an.
Sam wurde erneut wütend und sein Schädel hämmerte unwillkürlich heftiger. »Das ist doch kompletter Blödsinn«, stieß er hervor. »Warum jetzt? Wir haben doch noch alle Zeit der Welt.«
»Ihr seid fünfundzwanzig. In diesem Alter war ich bereits mit deiner Tante verheiratet und ich habe diesen Schritt nie bereut. Und das, obwohl wir nie Kinder bekommen konnten, wie du weißt. Die Ehe ist nichts Schlechtes. Ich werde meine Frau bis ans Ende meiner Tage lieben, auch wenn ich es ihr nicht mehr sagen kann. Erinnerst du dich daran, wie sie dieses Haus mit Leben erfüllt hat, immer ein offenes Ohr für uns hatte? Nein, die Heirat war, weiß Gott, kein Fehler. Sie war die beste Entscheidung meines Lebens. Es zerreißt mich fast, so fehlt sie
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