Augenblicklich ewig
liebst, und nicht, weil es schon immer so war. Ich will meine Zukunft selbst bestimmen und nicht durch die Vergangenheit bestimmen lassen. Ich möchte nicht werden wie die Polly auf den Bildern.«
Sam schloss für einen kurzen Moment die Augen, dann sprach er mit eindringlicher Stimme. »Es gibt keine frühere Polly, keine neue Polly, keinen alten Sam. Es gibt nur dich und mich. Wir waren es immer schon. Damals wie heute. Du bist die Frau, die ich liebte, warst es schon immer und wirst es auch in Zukunft sein. Nur wir beide. Zu jeder Zeit, in jedem Leben.«
Seine Worte wärmten ihr Herz und bestätigten sie gleichzeitig in ihrer Überzeugung. »Genau das meine ich, Sam. Versteh doch, ich bin nicht die Frau von damals, die du auf den Fotos siehst. Ich bin eine andere.«
»Diese Bilder habe ich mir schon ewig nicht mehr angesehen. Ich habe sie entdeckt, bevor ich dich gefunden habe. Es sind Erinnerungen, mehr nicht.«
»Sam, lass es doch bitte gut sein, bevor wir uns gegenseitig noch mehr verletzen. Lass mich gehen.«
»Ich kann nicht.«
»Das ändert nichts. Ich kann nicht klar denken, wenn ich hier bleibe, in deiner Nähe. Deshalb muss ich dich verlassen.« Sie hatte schnell gesprochen, damit sie die Worte überhaupt aussprechen konnte, die sie so sehr schmerzten.
»Tu das nicht, Polly. Lauf nicht weg.« Sie sah Tränen in seinen Augen schimmern. Sam hob die Hand, wollte sie berühren. Sie schüttelte den Kopf und wich zurück. »Nicht. Nicht anfassen.«
Seine Hand sank herab. »Bleib.«
»Ich kann nicht.« Am liebsten wäre Polly wirklich einfach weggerannt, aber Sam stand immer noch zwischen ihr und der Tür. Wahrscheinlich mit voller Absicht. »Ich laufe nicht weg, sondern entscheide mich zu gehen. Ich weiß nicht, ob ich die Frau sein kann, die du dir wünschst, die Frau, die für dich bestimmt ist. Ich muss erst herausfinden, wer ich sein will.« Sie wollte nicht mehr weitersprechen. Es war alles gesagt. Sie musste weg.
Sam nickte. »Ich werde dich nicht länger aufhalten. Ich kann dich nicht umstimmen, aber ich werde nicht aufgeben. Ich kann nicht aufgeben. Ich liebe dich. Ich werde dich nicht anrufen, nicht besuchen – für eine Weile - aber ich bin hier. Ich warte.« Mit diesen Worten trat er zur Seite und gab die Tür frei.
Polly nahm ihre Handtasche, die sie irgendwann einfach fallen gelassen hatte, vom Boden auf, schlüpfte in ihre Schuhe und öffnete die Tür.
»Ich warte«, flüsterte Sam neben ihr.
»Tu das nicht Sam. Ich weiß nicht, ob das etwas ändert«, antwortete sie noch leiser.
Sie rannte förmlich zu ihrer Wohnung. Dort angekommen warf sie ihre Handtasche in die Ecke, sodass sich der gesamte Inhalt auf dem Boden verteilte, kickte die Sandalen von den Füßen, schlüpfte aus ihren Klamotten und in ein viel zu großes T-Shirt. Erschöpft fiel sie in ihr Bett. Die Gefühle der beiden vergangenen Tage überrollten sie. Weinend und zitternd lag sie da, bis sie schließlich einschlief. Zu anstrengend waren die letzte schlaflose Nacht und die beiden Auseinandersetzungen mit Sam gewesen.
Polly fühlte sich eingezwängt in ihrem Kleid. Sie wünschte, sie hätte Sam gebeten, ihr Korsett nicht so eng zu schnüren. Sie zog ihren Mantel enger um sich, für dieses Wetter war er viel zu dünn. Sie war genervt von den unzähligen Menschen, die sie im Vorbeigehen anrempelten und sie immer weiter nach vorne drängten, um selbst auch einen Blick auf die Bootsparade zu erhaschen. Ihr Blick fiel erneut auf die verhüllte Statue. Sie war riesig, die Boote zu ihren Füßen sahen aus wie kleine Nussschalen. Die Menschen auf ihnen waren kaum zu sehen. Aber Polly wusste, Sam war einer von ihnen. Wie immer wurde ihr warm ums Herz, wenn sie an ihn dachte. Hoffentlich würde er bei seiner Rückkehr zu Ende bringen, was er ihr beim Anziehen versprochen hatte. Sie hatten sich erst vor ein paar Stunden voneinander getrennt und schon sehnte sie sich nach ihm. Polly war keine Zwanzig mehr, aber sie liebte Sam noch immer genauso wie am ersten Tag dieses Lebens und ebenso sehr wie am letzten Tag ihres vorangegangenen.
Als das Tuch die neue Statue endlich freigab, war Polly wider Erwarten beeindruckt. Diese Frau würde ab heute die Freiheit Amerikas symbolisieren. Eine Freiheit, in der zu leben Polly und Sam jeden Tag genossen.
Plötzlich durchzuckte ein stechender Schmerz ihre Körpermitte. Jemand riss den kleinen Stoffbeutel von ihrem Arm. Sie wehrte sich nicht. Ein Stöhnen drang aus ihrer Kehle.
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