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Augenblicklich ewig

Augenblicklich ewig

Titel: Augenblicklich ewig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Neuberger
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konnte nichts daran ändern.

 
    Die Spannung ließ erst über zwanzig Stunden später nach. Sie war endlich bei ihren Eltern angekommen und lag ausgestreckt auf ihrem alten Bett. Die vertrauten Gerüche ihrer glücklichen Kindheit hüllten ihr Gehirn in eine angenehme Ruhe und sie traute sich endlich, die Augen zu schließen. Es war zehn Uhr abends in Chicago und sie war todmüde. Im Flugzeug hatte Polly kein Auge zugemacht und sich mit dem Bordprogramm wachgehalten. Sie hatte sämtliche Filme gesehen, die das Bordprogramm zu bieten hatte, auch wenn sie einige davon bereits kannte. So war sie zum einen leichter wach geblieben und zum anderen von den Gedanken an Sam abgelenkt worden. Schlaf fürchtete sie. Sie konnte im Flugzeug, eingezwängt zwischen Mitreisenden, keinen Albtraum riskieren. Außerdem hatte sie Angst davor, welche grausamen Bilder das Schicksal noch heraufbeschwören würde, um sie zur Umkehr zu bewegen.
    In der Nähe ihrer Eltern und weit weg von Köln fühlte sie sich sicher mit ihrer Entscheidung, nach Chicago zurückzukehren und Köln und Sam für eine Weile hinter sich zu lassen. Sie würde sich nicht von einem Albtraum dazu bewegen lassen, zu Sam zurückzukehren. Sie traf ihre Entscheidungen selbst.

 
    Pollys Herz schlug heftig in ihrer Brust, ob vor Angst oder Aufregung, konnte sie nicht sagen. Sam sah gut aus, wie immer, daran änderten auch der besorgte Zug um seinen Mund und die konzentriert zusammengekniffenen Augen nichts. Seine samtig tiefe Stimme hüllte sie mit dem Versprechen ein, sie nie wieder gehen zu lassen. »Polly, ich kann dich nicht aufgeben. Ich muss es versuchen. Du hast das schon viele Male für mich getan und nun bin ich an der Reihe. Ich muss es schaffen. Für uns.« Dann hauchte er ihr einen Kuss auf die Lippen. Sein Mund fühlte sich weich und gleichzeitig ungeheuer kraftvoll auf ihrem an. Sie traute sich kaum zu atmen, geschweige denn sich zu bewegen, so gut war dieser Kuss. Der Raum um sie herum verschwamm und wirbelte sie an einen anderen Ort. Lediglich Sams Körperwärme und seine Lippen blieben.

 
    Sie schrak auf. Eine Träne lief ihr über die Wange. Diesmal hatte ihr Traum sie nicht in längst vergangene Zeiten entführt. Es war gerade einmal ein paar Wochen her, seit Sam sie in ihrer Wohnung zum ersten Mal geküsst hatte. Dieser Kuss gehörte zu den beängstigendsten und gleichzeitig schönsten Erinnerungen, die sie hatte. Der Tag war ein einziges Auf und Ab zwischen Angst, Unglauben, Staunen und echten Gefühlen für Sam gewesen. Weitere Tränen kullerten ihr Gesicht hinab. An Schlaf war nicht mehr zu denken, zu gefangen war sie in den Gedanken an die erstaunliche und gleichzeitig tragische Geschichte, die sie und Sam verband. Sie vermisste ihn schrecklich. Plötzlich erschien es ihr schwer, an ihren Beweggründen für die Trennung festzuhalten. War es wirklich besser, ewig auf Sam zu verzichten, als die Bestimmung in Kauf zu nehmen? Im Dunkel der Nacht, unter dem Einfluss ihres Traumes wusste sie es nicht mehr - sah das, was sie bei Tageslicht noch klar erkannt hatte, auf einmal aus einem anderen Blickwinkel. Würde sie ohne Sam glücklich werden können? Oder war sie vielmehr ohne ihn noch unglücklicher als mit ihm zusammen, auch wenn jemand oder etwas anderes für sie entschieden hatte? War dieses Glück nicht besser als gar kein Glück?
    Ihre Mutter war ein früher Vogel und Polly hörte sie bereits um sieben Uhr in der Küche. Ihr Vater - einmal mehr geschäftlich unterwegs - würde erst am nächsten Tag wieder zu Hause sein. Träge krabbelte Polly aus dem Bett, duschte schnell und zog dann eine bequeme Hose an. In der Küche erwartete sie bereits der köstliche Duft von Kaffee, Pancakes, Eiern und Toast. Auch wenn ihre Eltern in vielerlei Hinsicht nach der Auswanderung deutsch geblieben waren, hatten sie sich an das amerikanische Frühstück schnell gewöhnt. Es war einfach zu köstlich, darin stimmte Polly ihnen voll und ganz zu. Sie selbst hatte meist wenig Lust, für sich selbst zu kochen, genoss es aber umso mehr, von ihrer Mutter verwöhnt zu werden.
    »Guten Morgen, Liebes. Hast du geweint?«
    Sie konnte ihrer Mutter nichts vormachen. Deshalb nickte sie stumm und ließ sich auf den Stuhl am Esstisch fallen, auf dem sie schon als Kind gesessen hatte. Ihre Mutter servierte ihr einen Teller mit Rührei und einen weiteren mit den Pancakes, die Polly umgehend in Ahornsirup ertränkte.
    »Erzähl schon, Süße. Was ist los?« Ihre Mutter hatte

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