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Augenblicklich ewig

Augenblicklich ewig

Titel: Augenblicklich ewig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Neuberger
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Lungen.
    »Polly? Alles in Ordnung?« Jakobs Stimme ließ sie zusammenzucken. Ihn hatte sie völlig vergessen. Schnell schluckte sie die aufsteigenden Tränen herunter und legte Fotos und Bücher wieder an ihren Platz.
    »Ja, alles klar.« Ihre Stimme klang brüchig, aber sie hoffte, Jakob würde es nicht bemerken. Sie rappelte sich auf und versuchte einen Schritt zu tun. Mit wackeligen Beinen gelangte sie zur Tür und schließlich ins Wohnzimmer. Bevor sie Jakob erreichte, hatte sie sich wieder einigermaßen im Griff.
    Dieser musterte sie nun. »Alles okay? Ich dachte schon, du wärst in den Abfluss gefallen.« Er grinste.
    Sie schüttelte den Kopf. »Du weißt doch, wie wir Frauen sind. Erst brauchen wir ewig im Bad, und dann werden wir nicht fertig. Ich habe mein T-Shirt vergessen. Nun muss ich wohl oder übel die Bluse tragen.« Jakob nickte. Offenbar war er mit der Erklärung zufrieden. Polly wunderte sich, wie sie so schnell eine passende Antwort gefunden hatte. Aber was hätte sie sonst sagen sollen? Sam und ich werden wiedergeboren, ob wir wollen oder nicht, um unser Leben ständig zu wiederholen. Jakob hätte sie für verrückt gehalten und das zu Recht. In Wahrheit war es verrückt gewesen, zu glauben, sie liebe Sam, weil sich ihr Herz für ihn entschieden hatte. Nun war sie unsicher, ob sie diese Freiheit überhaupt je besessen hatte. Ihr Verstand riet ihr, zu fliehen. In Ruhe zu überlegen, ob sie sich in dieses Leben zwingen lassen wollte, von jemand anderem, dem Schicksal, der Vorsehung oder vielleicht auch Gott. Noch ehe sie sich eine Ausrede einfallen lassen konnte, weshalb sie doch nicht bis zum Essen bleiben würde, öffnete Sam die Tür.
    Unwillkürlich zuckte Polly zusammen. Was sollte sie tun? Ohne ein Wort verschwinden? Nein. Mit Sam reden? Nicht vor Jakob. Sie würde bleiben. Keine zwei Stunden mehr und Jakob würde zum Flughafen fahren, dann würde sie gehen. Sich entscheiden, welche Richtung ihr Leben nehmen sollte und wen sie darüber bestimmen lassen wollte.
    Sam lachte. »Ihr könnt euch nicht vorstellen, was beim Italiener los war. Als wäre es die einzige Pizzeria in der Stadt.« Kopfschüttelnd kam er zu Polly, die in der Küche soeben Teller und Besteck herausgesucht hatte. Als er sie küssen wollte, drehte sie sich in Richtung Esstisch, als habe sie Sams Geste nicht bemerkt.
    Es war schwerer, als sie erwartet hatte, die Fassade zu wahren. Ihr Inneres tobte und ihr Fluchtinstinkt war noch nie so ausgeprägt gewesen wie im Moment. Sam direkt neben ihr am Esstisch und Jakob ihr gegenüber machten die Situation nicht gerade leichter. Trotz ihres verkrampften Magens schaffte sie es, zwei Stücke der Pizza zu essen. Am Gespräch beteiligte sie sich allerdings kaum. Lediglich wenn einer der Männer eine direkte Frage an sie richtete, antwortete sie. Inzwischen hatte sie rasende Kopfschmerzen. Ihre Umwelt nahm sie nur am Rande wahr, weil sie vollkommen mit ihren Gedanken beschäftigt war. Was tat sie hier nur? Sie hätte ihrem Instinkt trauen und einfach gehen sollen. Immer wieder bemerkte sie, wie Sam sie von der Seite musterte. Er schien zu merken, dass etwas mit ihr - mit ihnen beiden - nicht stimmte. Als sie einen seiner Blicke auffing, schüttelte sie kaum merklich den Kopf, woraufhin sich eine besorgte Furche zwischen seinen Brauen bildete. Er war nicht leicht zu täuschen. Sobald sie aufgegessen hatten, stapelte Polly die Teller, um sie in die Küche zu bringen – sie konnte nicht länger still sitzen. Als sie aufstehen wollte, berührte Sam sie am Oberschenkel.
    »Bleib sitzen, ich ...« Mehr hörte Polly nicht. Sie stand nun vor der Freiheitsstatue. Wie durch einen Schleier registrierte sie, wie sie zurück auf den Stuhl plumpste. Ihr Herz begann zu rasen. Die Freiheitsstatue. Weit entfernt war ein Ächzen zu hören, sie wappnete sich für den bevorstehenden Schmerz. Plötzlich war die Vision vorbei, sie war zurück in Sams Wohnung.
    »Alles in Ordnung, Polly?« Jakob sah sie besorgt an.
    Sie nickte. »Ja, entschuldigt, ich habe Kopfschmerzen.« Ihre Ausrede war nicht die beste, aber zumindest nicht gelogen. Wieder einmal war Jakob zufrieden mit ihrer Antwort. Anders als Sam, dem nicht entgangen war, was soeben passiert war. Seine Augen waren zusammengekniffen, er sah Polly forschend an. Er wusste, dass etwas nicht stimmte. Sie hatten sich gerade einmal ein paar Stunden nicht gesehen, und dennoch hatte seine Berührung wieder einen kurzfristigen Aufenthalt im New York des vorletzten

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