Aura – Verliebt in einen Geist: Band 1 (German Edition)
Geist.« Meine Stimme zitterte. »Er war tot.«
Als Tante Gina mit mir besprochen hatte, wie ich mich bei der Befragung verhalten sollte, hatte ich nicht geweint, obwohl sie mir gesagt hatte, dass ich meinen Gefühlen ruhig freien Lauf lassen könne, weil das von den Geschworenen sicher positiv bewertet werden würde. Ich hatte mich die ganze Zeit nur darauf konzentriert, mit welchen Worten ich am besten beschreiben könnte, was passiert war. Es war mir vorgekommen, als würde ich den Text für eine Theateraufführung einstudieren.
Aber das hier war keine Theateraufführung – es war Realität. Logan war tot. Ich stand wieder in seinem Zimmer und zog mir in der Eile das T-Shirt verkehrt herum über den Kopf, während gleichzeitig meine Welt in so viele Teile zerbrach, dass ich sechsundsiebzig Tage später immer noch damit beschäftigt war, die Scherben zusammenzukehren. Trotzdem lief mir von jedem Auge jeweils nur eine einzige Träne über die Wangen, die beide so langsam hinunterrollten, als ginge es darum, welche als Letzte fallen würde.
»Keine weiteren Fragen, Euer Ehren.«
»Ihr Zeuge, Ms Stone«, sagte der Richter zur Anwältin der Gegenseite.
Harriet Stone, die bisher in der rechten Hälfte des Raums neben dem Boss der Plattenfirma gesessen hatte, stand auf und kam langsam auf mich zu. Ich kannte sie bereits, da ich schon zwei Mal bei Prozessen gedolmetscht hatte, in denen sie die Verteidigung der Angeklagten übernommen hatte. Sie machte keinen Hehl daraus, dass sie Geister verabscheute, und dementsprechend verächtlich behandelte sie auch deren Dolmetscher.
Ich wischte mir über die Wangen und sah sie mit dem letzten Rest von Stärke an, die ich aufbringen konnte.
»Danke, dass Sie sich als Zeugin zur Verfügung gestellt haben, Ms Salvatore.« Sie bedachte erst meine Tante und dann die Geschworenen mit einem vielsagenden Blick, der wohl deutlich machen sollte, dass sie aus purer Höflichkeit darauf verzichtete, noch einmal darauf hinzuweisen, dass ich mit der Anwältin der Klägerfamilie blutsverwandt war. »Der Tod Ihres Freundes muss ein schwerer Schlag für Sie gewesen sein.«
Weil das keine Frage, sondern eine Feststellung war, antwortete ich darauf nichts.
Harriet Stone knöpfte ihre Kostümjacke zu, die genau so knallrot leuchtete wie das Rouge auf ihren hohen Wangenknochen. Sie gehörte zu der Generation von Frauen, die glaubten, rote (und mit breiten Schulterpolstern versehene) Jacketts würden sie mächtig und unangreifbar wirken lassen. Wenn Logan morgen im Saal war, würde sie jedenfalls eine andere Farbe tragen müssen.
»Ms Salvatore?«, sagte die Anwältin. »Können Sie mir sagen, ob Logan Keeley vor dem fraglichen Abend schon einmal eine so große Menge an Alkohol konsumiert hat, dass er praktisch das Bewusstsein verloren hat?«
»Ja, das hat er.«
»Und wie oft ist das vorgekommen?«
Ich krümmte mich innerlich, weil ich mir lebhaft vorstellen konnte, wie gern seine Eltern jetzt in der Erde versunken wären. »Ich … Ich habe es vier Mal erlebt.«
»Wie lauteten die letzten Worte, die Logan Keeley an Sie gerichtet hat?«
Ich zuckte zusammen und umklammerte die hölzernen Lehnen des Zeugenstands. Die Erinnerung daran gehörte nur mir und Logan, und diese Frau wollte sie uns stehlen und sie in den Dreck ziehen. Aber wozu? Was wollte sie damit beweisen?
Plötzlich fiel mir ein, dass Tante Gina mir einmal gesagt hatte, ein guter Anwalt würde niemals eine Frage stellen, deren Antwort er nicht bereits kannte. Also hatte Harriet Stone Logan in der Anhörung im Vorfeld zum Prozess vermutlich dieselbe Frage gestellt.
»Ms Salvatore?« Harriet Stone ließ mich nicht aus den Augen. »Was hat Logan Keeley zu Ihnen gesagt, bevor er ins Badezimmer gegangen ist?«
Ich sah bewusst nicht sie an, sondern richtete meinen Blick ins Leere, als ich antwortete: »Er hat gesagt: ›Warte auf mich, Aura.‹«
Die Anwältin verschränkte die Arme vor der Brust und begann, auf und ab zu gehen. »Und? Haben Sie das getan?«
Mein Herz raste. Mit diesen Fragen hatte ich nicht gerechnet. »Ob ich was getan habe?«
»Haben Sie auf ihn gewartet? Sind Sie seit Logan Keeley tot ist, weiterhin mit ihm zusammen?«
»Inwiefern zusammen?«
Sie blieb abrupt stehen. »Haben Sie seitdem wieder einmal die Nacht mit ihm verbracht? Hat er Sie in Ihrem Schlafzimmer heimgesucht?«
»Ja«, antwortete ich knapp. Falls sie sich einbildete, ich würde ungefragt Einzelheiten enthüllen, befand sie sich auf dem
Weitere Kostenlose Bücher