Auracle - Ein Mädchen, zwei Seelen, eine Liebe (German Edition)
aufgelöst. Rei redet mit monotoner Stimme mit der Gartentür. »Ich weiß, dass du da bist.« Er wartet darauf, dass ich wieder auftauche. Als nichts passiert, senkt er seine Stimme. »Ich habe keine Ahnung, was deiner Meinung nach geschehen ist. Aber ich wäre wirklich dankbar, wenn du noch mal nachdenkst, bevor du mit irgendjemandem über Seth sprichst.« Er schaut erwartungsvoll auf die Gartentür. »Hast du irgendeine Ahnung, wo er steckt?«
Seine Farben schwanken die ganze Zeit über zwischen Rot und Grün. Das Bild erinnert mich an Weihnachten, nur hat es absolut nichts Festliches. Seine Aura signalisiert Konflikt. Er sieht aus wie jemand, der sich angestrengt bemüht, eine Situation zu verstehen. Ich komme langsam hinter der Fichte hervor, setze mich auf die Stufen links neben ihm und tanke ein bisschen von dem letzten Rest positiver Energie, die Rei noch geblieben ist. Er sieht mich in meiner astralen Erscheinung und springt auf.
»Lass das bleiben!«
Klar weiß ich, wo Seth ist, aber ich habe keine Ahnung, wie ich es Rei erklären kann. Über die Jahre haben Rei und ich gelernt, uns wortlos mit Blicken und Gesten zu verständigen. Kleine Dinge, wie
Hast du einen Stift für mich?
oder
Mir ist kalt, kann ich deinen Pulli haben?
, kann man einfach mit Körpersprache ausdrücken. Aber selbst wenn ich ein Ass im Scharadespielen wäre, wie könnte ich ihm sagen, dass er auf einer abgelegenen Straße 25 Kilometer südlich von der kanadischen Grenze ist?Rei setzt sich neben mich und stützt sich mit dem Ellenbogen auf den Knien ab, sein Kopf ruht auf seinen Fäusten. Er sieht mich kritisch an und versucht, die Puzzleteile zusammenzusetzen. »Gehst du wirklich zur Polizei?«
Ich schüttle den Kopf.
Er entspannt sich ein bisschen. »Warum hast du dann gesagt, dass du hingehst?«
Ich schüttle wieder den Kopf.
»Doch, das hast du. Ich habe es gehört. Ach, klar, du erinnerst dich wieder nicht daran, oder?« Sein Tonfall ist jetzt herablassend und ungewöhnlich scharf.
Ich schüttle noch einmal den Kopf, zeige auf mein Haus und forme mit den Lippen das Wort »das«.
Rei verdreht die Augen. Er ist noch schlechter beim Scharadespielen als ich.
»Toll. Jetzt muss ich dann also raten, was du mir sagen willst, richtig?«
Richtig.
Er schaut ganz genau hin, als ich noch einmal lautlos das Wort sage. »Dies«, rät er.
Ich schüttle den Kopf und versuche es noch einmal.
»Ach so: Das.«
Ziemlich gut. Ich nicke. Ich forme mit den Lippen das Wort »nicht« und schüttle den Kopf.
»Nicht?«, errät er. Gut. Er stellt sich besser an als gedacht.
Ich nicke noch einmal und zeige auf mich und forme das Wort »ich«.
»Ich«, sagt er mit sanfter Stimme. »Das nicht ich. Das bist nicht du? Aber wer ist es dann?« Er sieht vollkommen verwirrtaus. Die Tür von meinem Haus öffnet sich. Taylor kommt barfuß heraus und geht langsam die Einfahrt entlang zum Briefkasten. Sie sieht nicht herüber, aber Rei hat sie entdeckt, und er weiß, dass ich nicht an zwei Orten gleichzeitig sein kann.
Ich bewege meine Lippen und forme ganz langsam das Wort »Taylor«.
12
»Willst du mir etwa sagen, dass Taylor in deinem Körper steckt?«, sagt er ruhig.
Ich nicke. Taylor steht immer noch am Briefkasten und zieht einen Stapel Kataloge und Rechnungen heraus. Sie ist zu weit weg, um uns zu hören. Ich bewege mich ein bisschen zur Seite, damit sie mich nicht sehen kann, wenn sie herüberschaut.
»Warum ist sie nicht in ihrem eigenen Körper?«
Ich fahre mit dem Zeigefinger in einer waagerechten Linie über meinen Hals.
»Ist sie wirklich tot?«, flüstert er.
Ich nicke.
Rei seufzt und reibt sich mit seinen schmutzigen Fingern die Schläfen. »Das ist nicht gut. Sie meinte, dass Seth sie geschubst hat.«
Ich schüttle entschieden den Kopf.
»Nein, das habe ich auch nicht geglaubt. Weißt du, wo Seth jetzt ist?«
Ich nicke.
»Okay, gut. Lass uns reingehen, bevor sie uns sieht«, sagt er. Als wir drinnen sind, betrachtet er entschuldigend seine dreckigen Hände. »Gib mir fünf Minuten. Ich dusche mich schnell.«
Ich warte unten und überlege, wie Rei reagieren wird, wenn er kapiert, dass das alles wirklich wahr ist. Er ist ziemlich gut darin, seine Emotionen zu verstecken. Aber wie kann er nichtUnglauben, Wut, Angst und – am schlimmsten – Enttäuschung fühlen?
Als Rei sich geduscht hat und Shorts und T-Shirt trägt, ruft er mich zu sich nach oben und signalisiert mir, dass ich in sein Zimmer gehen soll.
Der Anblick des
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