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Aurora

Aurora

Titel: Aurora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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ihn nach seiner Entlassung interviewen durfte. Es hatte eine Ewigkeit gedauert, bis das Gespräch zustande kam, und dann hatte es sich – wie so oft in solchen Fällen – als Enttäuschung erwiesen. Mamantow hatte sich rundheraus geweigert, über sich selbst oder über den Putsch zu reden, und statt dessen Parteislogans von sich geben, die unmittelbar aus der Prawda stammten.
    Mamantows private Telefonnummer stand bei den Einträgen aus dem Jahr 1991, und zwar unmittelbar neben der Büroadresse eines damals kleinen Parteifunktionärs, Gennadi Sjuganow.
    »Wollen Sie ihn etwa besuchen?« fragte Efanow beunruhigt.
    »Ihnen dürfte doch bekannt sein, daß er alle Westler haßt. Fast so sehr, wie er die Juden haßt.«
    »Sie haben recht«, sagte Kelso und starrte auf die sieben Ziffern. Mamantow war selbst als Gebeutelter noch ein furchteinflößender Mann gewesen, in einem Anzug, der lose von den breiten Schultern herabhing, mit einem Gesicht, das noch die Gefängnisblässe aufwies, und Mordlust in den Augen. Mamantow war in Kelsos Buch nicht sonderlich gut weggekommen, um es gelinde auszudrücken. Und es war ins Russische übersetzt worden – Mamantow hatte es bestimmt gelesen.
    »Sie haben recht«, sagte er noch einmal. »Der Versuch lohnt sich nicht.«
    Fluke Kelso verließ die Lenin-Bibliothek kurz nach zwei Uhr. An einem Stand im Foyer blieb er kurz stehen, um sich zwei frische Brötchen und eine Flasche mit warmem, salzigem Mineralwasser zu kaufen.
    Er erinnerte sich, daß er gegenüber dem Kreml, in der Nähe des Intourist-Büros, eine Reihe von öffentlichen Telefonen gesehen hatte. Er verzehrte seinen Imbiß im Gehen. Zuerst ging er hinunter in die Düsternis der Metrostation, um ein paar Telefonmarken zu kaufen, und dann auf der Mochowaja-Straße zurück zu den Telefonen.
    Ihm war, als wäre er nicht allein. Irgendwie ging jetzt sein jüngeres Alter ego neben ihm her – langhaarig, kettenrauchend, immer in Eile, immer optimistisch, ein Schriftsteller im Kommen. (»Dr. Kelso verbindet in seinem Buch über die neueste sowjetische Geschichte das Können eines hervorragenden Historikers mit der Intensität eines guten Reporters« – New York Times.) Dieser jüngere Kelso hätte keine Sekunde gezögert, Wladimir Mamantow anzurufen, das war sicher – er hätte notfalls sogar dessen Tür eingeschlagen.
    Wenn Jepischew Stalins Notizbuch gegenüber Wolkogonow erwähnt hatte, überlegte er, konnte er dann nicht auch Mamantow davon erzählt haben? Konnte er nicht irgendwelche Aufzeichnungen hinterlassen haben? Konnte er nicht Angehörige haben?
    Es war wohl doch einen Versuch wert.
    Er wischte sich den Mund und die Finger an der kleinen Papierserviette ab, und als er den Hörer abnahm und die Plastikmarken in den Metallschlitz steckte, spürte er das vertraute Zusammenkrampfen der Bauchmuskeln, das Ziehen in der Herzgegend. War das vernünftig, was er vorhatte? Nein. Aber wen kümmerte das? Adelman – der war vernünftig. Und Saunders – der war sogar sehr vernünftig.
    Trau dich.
    Er wählte die Nummer.
    Der erste Anruf war eine Enttäuschung. Die Mamantows waren umgezogen, und dem Mann, der jetzt in ihrer früheren Wohnung lebte, widerstrebte es, ihm ihre neue Nummer zu geben. Erst nach einem im Flüsterton geführten Gespräch mit jemandem im Hintergrund teilte er sie ihm mit. Kelso legte auf, dann wählte er abermals. Diesmal läutete das Telefon sehr lange, bevor der Hörer abgenommen wurde. Die Telefonmarken fielen durch, und eine alte Frau mit zittriger Stimme sagte: »Wer ist da?«
    Er nannte seinen Namen. »Könnte ich bitte mit dem Genossen Mamantow sprechen?« Er sagte mit Bedacht »Genosse«; »Herr« hätte nicht so gut gepaßt.
    »Ja? Wer ist da?«
    Kelso war geduldig. »Ich sagte es bereits. Mein Name ist Kelso. Ich spreche von einem öffentlichen Apparat aus. Es ist dringend.«
    »Ja, aber wer ist da?«
    Er war gerade im Begriff, seinen Namen zum dritten Mal zu nennen, als er am anderen Ende der Leitung etwas hörte, was ihm wie ein Handgemenge vorkam, dann meldete sich eine grobe Stimme. »Mamantow am Apparat. Wer ist da?«
    »Kelso.« Es trat eine kurze Stille ein. »Dr. Kelso, Vielleicht erinnern Sie sich an mich.«
    »Ich erinnere mich an Sie. Was wollen Sie?«
    »Ich möchte mit Ihnen reden.«
    »Weshalb sollte ich mit Ihnen reden nach dem Mist, den Sie geschrieben haben?«
    »Ich möchte Ihnen ein paar Fragen stellen.«
    »Worüber?«
    »Über ein Notizbuch mit schwarzem Wachspapierumschlag,

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