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Aurora

Aurora

Titel: Aurora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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zündete sich eine Zigarette an und stieß den Rauch aus. »Das sollten Sie wissen. Mit ziemlicher Sicherheit hatte er sie in seiner Wohnung versteckt. Das ist der Grund, aus dem er…«
    Aber Belenki hörte nicht zu. »Alles, woran Sie sich erinnern können.« Er warf einen blauen Kugelschreiber auf den Tisch.
    »Haben Sie überhaupt zugehört, was ich gesagt habe? Stalins Papiere…«
    »Schon gut.« Der Russe hörte nicht zu. »Um die Einzelheiten kümmern wir uns später. Zuerst brauchen wir eine Aussage.«
    »Über alles?«
    »Natürlich. Wer Sie sind. Wie Sie den alten Mann kennengelernt haben. Was Sie in seiner Wohnung wollten. Die ganze Geschichte. Schreiben Sie alles auf. Ich komme später wieder.«
    Nachdem er verschwunden war, starrte Kelso ein paar Minuten lang das leere Papier an. Mechanisch schrieb er seinen vollständigen Namen, sein Geburtsdatum und seine Adresse in säuberlichen kyrillischen Buchstaben nieder. Er konnte nicht klar denken. »Ich bin«, schrieb er, dann hielt er inne. Der Plastikkugelschreiber fühlte sich in seinen Händen so schwer an wie ein Stemmeisen. »Ich bin in Moskau eingetroffen am…« Er konnte sich nicht einmal an das Datum erinnern. Er, der normalerweise alle Daten parat hatte! (25. Oktober 1917, der Schlachtkreuzer Aurora beschießt den Winterpalast und löst die Revolution aus; 17. Januar 1927, Leo Trotzki wird aus dem Politbüro ausgeschlossen; 23. August 1939, der Molotow-Ribbentrop-Pakt wird unterzeichnet…) Er beugte den Kopf über den Tisch. »Ich bin in Moskau eingetroffen am Montag morgen, dem 26. Oktober, mit einer Maschine aus New York, auf Einladung des Russischen Archivamtes, um einen kurzen Vortrag über Josef Stalin zu halten…«
    Nach knapp einer Stunde hatte er seine Aussage fertig. Er tat, was man von ihm verlangt hatte, und ließ nichts aus – das Symposium, Rapawas Besuch, Stalins Notizbuch, die Lenin-Bibliothek, Jepischew und das Treffen mit Mamantow, das Haus in der Wspolny-Straße, die frisch aufgegrabene Erde, das Robotnik und Rapawas Tochter… Er füllte sieben Seiten mit seiner winzigen Schrift und brachte den letzten Abschnitt schnell hinter sich, jagte durch die Szene in der Wohnung, die Entdeckung des Leichnams, seine verzweifelte Suche nach einem funktionierenden Telefon im Nachbarblock, wo er schließlich eine junge Frau aufweckte, die ihm mit einem Säugling im Arm die Tür aufmachte. Es war ein gutes Gefühl, wieder zu schreiben, dem Chaos der Vergangenheit eine Art rationale Ordnung aufzuzwingen.
    Als Kelso gerade seinen letzten Satz beendet hatte, steckte Belenki den Kopf zur Tür herein.
    »Sie können jetzt aufhören.«
    »Ich bin fertig.«
    »Wirklich?« Belenki starrte zuerst den kleinen Stapel Blätter und dann Kelso an. Auf dem Korridor hinter ihm wurden Stimmen laut. Er runzelte die Stirn, dann rief er über die Schulter: »Sagen Sie ihm, er soll warten.« Er kam ins Zimmer und machte die Tür hinter sich zu.
    Irgend etwas war mit Belenki passiert, das war unübersehbar. Seine Jacke stand offen, seine Krawatte war gelockert. Auf seinem khakifarbenen Hemd zeichneten sich dunkle Schweißflecke ab. Ohne die Augen von Kelsos Gesicht abzuwenden, streckte er seine massige Hand aus. Kelso gab ihm die Aussage. Belenki ließ sich mit einem leisen Grunzen an der anderen Seite des Tisches nieder und zog ein Plastiketui aus der Brusttasche. Aus dem Etui holte er eine überraschend zierliche Brille mit goldgerahmten Halbgläsern, klappte sie auf, setzte sie sich auf die Nasenspitze und begann zu lesen.
    Er schob das massige Kinn vor. Gelegentlich hoben sich seine Augen von dem Papier zu Kelso, musterten ihn einen Augenblick und kehrten dann zu dem Text zurück. Er stöhnte leise. Der Schnauzbart sackte über die Lippen, die sich zusehends verspannten. Er kaute am Knöchel seines rechten Daumens.
    Nachdem er das letzte Blatt beiseite gelegt hatte, seufzte er.
    »Und das ist wirklich wahr?«
    »Jedes Wort.«
    »Heilige Scheiße.« Belenki nahm die Brille ab und rieb sich mit dem Handrücken die Augen. »Und was soll ich Ihrer Meinung nach jetzt tun?«
    »Mamantow«, sagte Kelso. »Er muß seine Hand im Spiel gehabt haben. Ich habe es sorgfältig vermieden, ihm irgendwelche Einzelheiten zu verraten, aber…«
    Die Tür wurde geöffnet, und ein kleiner, schlanker Mann, ein Laurel neben dem Hardy Belenki, sagte mit verängstigter Stimme: »Sima! Schnell! Sie sind da!«
    Belenki warf Kelso einen vielsagenden Blick zu, raffte die Aussage zusammen

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