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Aurora

Aurora

Titel: Aurora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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möglich, daß Sie versuchen werden, umgehend wieder in die Russische Föderation einzureisen. Ich bin sogar sicher, daß Sie das tun werden; Sie sind ein hartnäckiger Mensch, das kann jeder sehen. Aber ich darf Ihnen sagen, daß Ihr Antrag auf ein Visum abgelehnt werden wird.«
    »Das ist eine verdammte Schikane.« Natürlich war es dumm, die Beherrschung zu verlieren, aber er war zu müde und mitgenommen, um noch an sich halten zu können. »Eine verdammte Gemeinheit. Alle werden denken, daß ich der Mörder war.«
    »Aber Sie haben ihn umgebracht.« Der Russe drehte sich jetzt um. »Sie sind der Mörder.«
    »Soll das ein Witz sein? Ich hätte mich nicht zu melden brauchen. Ich hätte die Miliz nicht anzurufen brauchen. Ich hätte mich aus dem Staub machen können.«
    Und glauben Sie nicht, daß mir dieser Gedanke nicht gekommen wäre, dachte er.
    »Hier steht es in Ihren eigenen Worten.« Der Blondköpfige schlug auf die Aussage. »Sie sind gestern nachmittag zu Mamantow gegangen und haben ihm erzählt, ein ›Zeuge aus den alten Zeiten‹ sei mit Informationen über Stalins Papiere an Sie herangetreten. Das war ein Todesurteil.«
    Kelso wurde unsicher. »Ich habe keinen Namen genannt. Ich bin unsere Unterredung an die hundert Mal in Gedanken durchgegangen…«
    »Mamantow brauchte keinen Namen. Er hatte den Namen bereits.«
    »Das können Sie nicht mit Sicherheit…«
    »Über Papu Rapawa«, sagte der Russe übertrieben geduldig, »wurde 1983 vom KGB erneut ermittelt. Die Ermittlungen erfolgten auf Anweisung des Stellvertretenden Leiters des Fünften Direktorats – Wladimir Pawlowitsch Mamantow. Begreifen Sie jetzt?«
    Kelso schloß die Augen.
    »Mamantow wußte ganz genau, von wem Sie sprachen. Es gibt keinen weiteren ›Zeugen aus den alten Zeiten‹. Alle anderen sind tot. Also: Eine Viertelstunde, nachdem Sie Mamantows Wohnung verlassen hatten, verließ auch Mamantow die Wohnung. Er wußte aus seiner Akte sogar, wo der alte Mann wohnte. Er hatte sieben, vielleicht sogar acht Stunden Zeit, um Rapawa in die Mangel zu nehmen. Mit Unterstützung gewisser Freunde. Glauben Sie mir, ein Profi wie Mamantow kann einen Menschen in acht Stunden ziemlich übel zurichten. Möchten Sie ein paar medizinische Einzelheiten hören? Nein? Dann fliegen Sie nach New York zurück, Dr.
    Kelso, und spielen Sie Ihre Geschichtsspielchen in irgendeinem anderen Land. Wir sind hier nicht in England oder Amerika, hier ist die Vergangenheit nicht tot und begraben. In Rußland trägt die Vergangenheit Rasiermesser und Handschellen. Fragen Sie Papu Rapawa.«
    Eine Bö fegte über die Wasseroberfläche, trieb Wellen auf, und eine Boje in der Nähe zerrte klirrend an ihrer rostigen Kette.
    »Ich bin ein Zeuge«, sagte Kelso nach einer Weile. »Um Mamantow verhaften zu können, brauchen Sie meine Aussage.« Zum ersten Mal lächelte der Russe. »Wie gut kennen Sie Mamantow?«
    »Fast überhaupt nicht.«
    »Sie kennen ihn fast überhaupt nicht. Das ist Ihr Glück. Einige von uns haben ihn sehr gut kennengelernt. Und ich kann Ihnen versichern, daß der Genosse W. P. Mamantow mit mindestens sechs Zeugen – keiner davon unter dem Rang eines Obersten – aufwarten wird, die alle beschwören werden, daß er den ganzen gestrigen Abend mit ihnen verbracht hat, daß sie hundert Kilometer von Rapawas Wohnung entfernt über Wohltätigkeitsarbeit diskutiert haben. Soviel zum Wert Ihrer Aussage.«
    Er riß Kelsos Bericht in der Mitte durch, halbierte ihn dann nochmals und nochmals – machte weiter, bis er sich nicht weiter zerreißen ließ. Er zerknüllte die Schnitzel in den Händen und warf sie dann ins Wasser. Der Wind erfaßte sie. Die Möwen stießen in der Hoffnung auf Futter herab, kreischten enttäuscht und segelten wieder davon.
    »Nichts ist mehr so, wie es einmal war«, sagte der Russe.
    »Das sollten Sie selbst am besten wissen. Die Ermittlungen werden heute morgen neu aufgerollt. Diese Aussage wurde nie geschrieben. Sie wurden nie von der Miliz festgehalten. Der Mann, der Sie verhört hat, ist befördert worden und wird genau in diesem Augenblick mit einer Militärmaschine nach Magadan gebracht.«
    »Nach Magadan?« Magadan lag in Sibirien, sechstausend Kilometer entfernt.
    »Oh, wir holen ihn zurück«, sagte der Russe lässig, »wenn die Sache hier erledigt ist. Wir wollen unter keinen Umständen, daß die Moskauer Presse die Geschichte breittritt. Das wäre wirklich zu peinlich. Ich sage Ihnen das alles, weil ich weiß, daß wir Sie

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