Aurora Komplott (Thriller) (German Edition)
kalt. Die Heizung schaffte es kaum, die
beschlagene Frontscheibe freizupusten. „Hoffentlich ist bei dieser Eiseskälte
nicht der See zugefroren“, dachte Hanson und schaute stur auf die Fahrbahn.
Rütter neben ihm sprach kein Wort. Er verdaute wohl noch die Standpauke, die
Hanson ihm bis eben gehalten hatte. Sie war schon lange überfällig. Seine
ständigen Fehlzeiten, die Sonderurlaube, die ihm als Bundesschiedsrichter im
Judo bei großen Wettkämpfen gewährt werden mussten, belasteten jetzt besonders
die ohnehin dünne Personaldecke der gesamten Mordkommission. Eine völlig
kontraproduktive Urlaubsverordnung, die das Land für seine Beamten
festgeschrieben hatte, zürnte Hanson innerlich. Es war schon ein
kriminalistischer Frevel, erst heute das Chalet in Bosau aufzusuchen. Aber ohne
Personal kann auch die beste Kommission nicht agieren, versuchte Hanson sich
selbst zu beruhigen.
Die Bundesstraße 76 war hinter der kleinen
Brücke, kurz vor Plön, von dunklem Nadelgehölz gesäumt. Daher konnte Hanson die
Rotte Schwarzkittel nicht rechtzeitig sehen, die aus dem Unterholz brach und
die Straße querte. Reflexartig stieg er in die Bremsen, der Wagen geriet ins
Schlingern, Hanson lenkte gegen und brachte das Gefährt in die Spur zurück. Er
bewunderte noch den prächtigen Überläufer, der in wenigen Monaten zu einem
mächtigen Keiler heranwachsen würde und gab wieder behutsam Gas. Die
zusätzliche Luftfeuchtigkeit vom Plöner See hatte sich als Raureif auf dem
Asphalt niedergeschlagen. Die Bache, die aus einer Nebelbank mit ihren
vorjährigen Frischlingen hervorpreschte, sah Hanson nicht. Er schaute noch den
letzten Tieren der Rotte nach. Im Schweinsgalopp hetzte die Bache mit ihren
Jungen der Rotte hinterher. Der heftige Stoß, der den Wagen erschütterte, ging
Hanson bis ins Mark. Vor Schreck veriss er die Lenkung. Der Wagen schleuderte
auf die linke Straßenseite. Mit lautem Getöse entfaltete sich der Airbag. Fast
gleichzeitig verdunkelte sich das Innere des Fahrzeuges. Aus den Augenwinkeln
sah Hanson, wie sich der massige Körper der Wildsau von halbrechts über den
Kühler rollte und dann mit ungeheurer Wucht gegen die Windschutzscheibe
krachte. Glas splitterte, zwei Wildschweinläufe ragten durch die Frontscheibe
ins Wageninnere, strampelten und zuckten kraftvoll vor und zurück. Axel Rütter
ging mit einem antrainierten Reflex eines durchtrainierten Judokas und
angewinkelten Unterarmen vor seinem Gesicht in eine Abwehrhaltung. Sein
Prallsack hatte sich nicht entfaltet. Auf diese Art der Auseinandersetzung war
er aber nicht vorbereitet. Ein kraftvoller Huftritt traf den Kollegen am Hals.
Er röchelte kurz und sackte im Autositz in sich zusammen und wurde nur noch
durch den Sicherheitsgurt gehalten.
Eisiges Entsetzen befiel Hanson. Er ahnte
Schreckliches. Aus vielen Obduktionen wusste er, Angriffe auf den Kehlkopf
endeten oft mit einem gebrochenen Zungenbein. Tödlich, absolut tödlich!
Alles, was das Leben dieses jungen
Kriminalbeamten ausgemacht hatte, seine Hoffnungen, seine berufliche Karriere,
seine Liebe, alles war dahin, durch den Huftritt einer Wildsau. Das durfte
nicht sein. Hanson wünschte, aus diesem Albtraum zu erwachen.
„Lieber Gott, lass es nicht zu, lass den Axel
leben“, schrie sich Hanson die Seele aus dem Leib. „Lass ihn leben, lass ihn
leben“.
Die Wagentür wurde aufgerissen, ein Oberkörper
beugte sich über ihn, sein Sicherheitsgurt gab nach, zwei kräftige Arme zerrten
ihn aus dem Wagen und legten ihn auf das kalte, unbefestigte Bankett neben der
Fahrbahn. Hanson spürte die Vibration eines heranrumpelnden Lastwagens und sah,
riesige Reifen auf sich zurollen und hörte das Quietschen der Bremsen.
Sein Freund Gerber und Juri Haller hielten seine
beiden Beine in die Höhe. Aus ihren Mündern trieb ihr Atem weiße Wolken in die
eiskalte Luft. Ein Pistolenschuss peitschte durch den frühen Morgen. Krähen
erhoben sich von den Äckern mit der Wintersaat und flatterten aufgeregt über
die am Straßenrand stehende Fahrzeugkolonne hinweg. Irgendeiner aus seinem
Begleitkommando hatte sich wohl erbarmt und das zappelnde Wildschwein auf der
Kühlerhaube seines Wagens erschossen.
„Dag, du hast einen Schock und bleibst jetzt
liegen. Wir kümmern uns um alles“, hörte er noch wie aus weiter Ferne, bevor
die Umrisse seiner Umgebung in einem Grau die Schärfe verloren und es um ihn
herum dunkel wurde.
Er wähnte sich auf einem schaukelnden Segelboot
bei schwerer See. Als Skipper
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