Aurora Komplott (Thriller) (German Edition)
schloss er wieder die Augen. Nichts mehr hören, nichts
mehr sehen, sich nicht rechtfertigen zu müssen, war sein innigster Wunsch. Sich
in nichts aufzulösen war nicht möglich. Auch verkriechen konnte er sich nicht.
So hielt er die Augen geschlossen und stellte sich schlafend. Die
Krankenschwester stellte das Tablett auf seinen Nachtschrank und verließ das
Zimmer. Stille lastete im Krankenzimmer, schmerzende Stille.
Hanson spürte Gerbers Anwesenheit, er fühlte
seine Nähe und hörte dann seinen gleichmäßigen Atem. Als würde Gerber ahnen,
welche Selbstvorwürfe ihn plagten, nahm er die Hand seines Freundes behutsam in
die seine und flüsterte leise: “Dag, es tut mir leid um dich, mein Freund.
Schwere Stunden werden dich ereilen, Stunden in denen du nicht mehr leben
möchtest. Auch mir hat es das Herz zerrissen, als ich vom Tode des Bachners
erfuhr“.
Hanson wünschte, aus Gerbers Worten mehr Trost
schöpfen zu können. Es gelang ihm nicht. Stattdessen fühlte er, wie die innige
Freundschaft zu Gerber sich weiter verfestigte. Einen wahren Freund erkennt man
eben nur in schlimmen Lagen. Und es war eine schlimme Lage und er ist ein
wahrer Freund. Mehr denn je wusste er das jetzt und es rührte ihn. Sein Freund
hätte nichts anderes sagen können, was ihn mehr im Innersten bewegt hätte. Eine
Träne, die sich durch Hansons geschlossene Augenlider zwängte, rann an seiner
rechten Schläfe herunter in das Kopfkissen. Er schämte sich maßlos. Nie hätte
er mit dieser Einfühlsamkeit, die ihm jetzt zuteil wurde, diesen Freund trösten
können, als er seines Trostes vor wenigen Tagen so dringend bedurfte. Hansons psychologisches
Profil gestattete ihm nicht, sich tief empfundenes Mitleid anmerken zu lassen.
Ein Fakt, den Hellen in ihrem Leben mit ihm mehrmals äußerste. Man könne nicht
in seine Seele schauen, er sei berufsgeschädigt und messe den Menschen mit
einem Maßstab, der nur Gut und Böse anzeige. Seine Härte gegenüber seinen
Mitmenschen wachse mit der Anzahl der Berufsjahre, hatte sie ihn häufig
kritisiert.
Es half nichts, er musste sich der Wahrheit
stellen, musste mit Gerber reden. Reden ist alle Mal besser, als sich zu
verkriechen. Widerstrebend öffnete Hanson die Augen und sah in das vertraute
Antlitz seines Freundes, der auf einem Hocker neben seinem Bett saß und noch
immer seine Hand hielt.
„Dem Himmel sei Dank, du scheinst wohlauf zu
sein“.
Eine unerträglich lange Pause trat ein, in der
keiner ein Wort sprach. Gerber hielt weiterhin die Hand seines Freundes und
schaute ihm väterlich in die Augen.
„Dag, du solltest mir gestatten, dir zu helfen“.
„Ist schon in Ordnung, Hagen, ich danke dir“.
„Nichts ist in Ordnung, Dag, das weißt du
besser. Gib es zu, du brauchst Hilfe. Ich weiß, dass du weißt, dass Axel tot
ist. Ich habe den Unfall gesehen. Dich trifft keine Schuld. Doch ich rede nicht
vom Unfall, ich rede nicht von Rütters Tod. Ich rede von deinem Leben. Seit dem
Tod von Hellen hast du dich verändert. Die Dienststelle ist dein Zuhause
geworden. Du willst in der Firma immer alle Bälle persönlich jonglieren, alle
auf einmal und zur selben Zeit. Dag, das hältst du nicht durch“.
„Nur so bleibe ich aktiv, so bleibe ich wach,
nur so spüre ich das Leben und kann die tiefe Trauer bekämpfen, nur so kann ich
die Einsamkeit verdrängen, kann Hellens Tod vergessen“.
„Dag, natürlich sollst du deine Trauer ausleben.
Aber gib der Zeit eine Chance und beginne endlich ein anderes Leben zu führen.
Und im Dienst allemal“.
„Schon gut, Hagen“.
„Nichts ist gut. Wir müssen reden, Dag“.
„Wir reden doch miteinander, oder?“
„Das schon, aber ich erreiche dich nicht, nicht
mehr. Du hörst mir im zwischenmenschlichen Miteinander nicht mehr zu“.
„Nein, so stumpf bin ich doch nicht geworden.
Dein Rat, deine Kritik, deine Gesellschaft sind für mich unverzichtbar, Hagen“.
Im privaten Bereich sicher nicht, in
dienstlichen Dingen vielleicht, Dag. Da gehst du immer gerade auf dein Ziel
los, fragst nie nach dem Weg, entscheidest alles selbst. Du hast doch gute
Mitarbeiter, die du einbinden kannst. Komm endlich zur Ruhe, Dag, halte dann
und wann mal inne.
„Hagen, ich werd’s mir überlegen. Was war in
Bosau?
„Ich fass es nicht. Wovon rede ich hier
eigentlich. Jetzt beginnst du wieder die Bälle zu jonglieren. Hagen, du liegst
im Krankenhaus. Bosau sollte dich im Moment nicht interessieren, wir haben
alles im Griff. Lass deine Truppe ran, auf die
Weitere Kostenlose Bücher