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Aurora

Aurora

Titel: Aurora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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anderes.«
    »Weil es den Uhrmacher betrifft? Oder weil es Tom Drey-
    fus betrifft?«
    »Wir sollten nicht so viel reden.«
    »Niemand kann uns belauschen.«
    »Ich meine, wir sollten uns aufs Gehen konzentrieren.
    Wenn Sie ins Eis einbrechen, werde ich nicht stehen bleiben, um Sie rauszuziehen.«
    »Gut zu wissen, wie viel Ihnen an mir liegt.«
    Sie stapften im Zickzack um ein Labyrinth aus Spalten
    und gefährlichen Eisüberhängen herum. Mindestens einen
    Kilometer später sagte Dreyfus: »Ich habe etwas über mich herausgefunden, was ich nicht wusste. Ich dachte immer, ich hätte bei den Ereignissen jenes Tages keine Rolle gespielt, aber jetzt weiß ich, dass ich dabei war. Ich war im SIKM, ich war wesentlich beteiligt an der Entwicklung der Uhrmacherkrise. Ich muss ganz in der Nähe gewesen sein, als der Uhrmacher ausbrach. Wahrscheinlich wollte ich Valery besuchen, oder ich hatte sie besucht und war auf dem Rückweg.«
    »Sie wissen es nicht mehr?«
    »Ich ließ die Erinnerungen blockieren. Seit ich das Dokument gesehen habe, werden sie deutlicher, aber ich habe immer noch das Gefühl, durch dickes Glas zu schauen.«
    »Warum haben Sie die Erinnerungen blockieren lassen?
    Aus Sicherheitsgründen?«
    »Nicht unbedingt. Ich hätte nach allem, was ich an jenem Tag erfahren hatte, nicht mehr im Außendienst arbeiten
    können, doch das wäre kein Thema gewesen, wenn man
    mich zum Oberpräfekten befördert hätte, wie es eigentlich geplant war. Meine Erinnerungen ließ ich aus einem anderen Grund blockieren. Ich hatte an jenem Tag eine Entscheidung getroffen, Sparver. Sie war an mir hängen geblieben.
    Und hinterher konnte ich nicht damit leben.«
    »Was war das für eine Entscheidung?«
    »Ich hatte einen Weg gefunden, die Menschen im SIKM
    zu retten, an die der Uhrmacher noch nicht herangekom-
    men war. Daher die zeitliche Lücke von sechs Stunden zwischen Janes Entlassung und der Zündung unserer Atom-
    raketen. Sie hat mich immer beschäftigt. Jetzt habe ich die Erklärung dafür.«
    »Hatten Sie Erfolg?«, fragte Sparver.
    Dreyfus ging weiter. Nach einem Dutzend Schritten dreh-
    te er sich um und sagte: »Ja. Ich konnte sie alle retten. Auch Valery.«
    Kälte, namenlose Kälte, und dann ein Licht. Aumonier
    fühlte sich schwerelos, und langsam keimte der Gedanke
    auf, alle Anstrengungen wären vergeblich gewesen, sie be-fände sich wieder in einem Raum mit dem Skarabäus. Die
    Vorstellung war ihr zunächst so unerträglich, dass sie am liebsten in die Bewusstlosigkeit zurückgekrochen wäre.
    Doch mit der Zeit erkannte sie, dass sie den Skarabäus nicht mehr spürte. Sein Fehlen machte sich so deutlich bemerkbar, als hätte er einen Negativabdruck von sich zurückgelassen.
    »Öffnen Sie die Augen«, hörte sie Doktor Demikoff leise sagen. »Es ist gut. Alles kommt wieder in Ordnung.«
    »Ich habe wohl geschlafen?«
    »Ja. Sie haben geschlafen, nach all den Jahren. Es tut mir leid, dass wir Sie wecken mussten.«
    Demikoff, ein grüner Kittel und eine grüne Maske vor
    einer grün gefliesten sterilen Wand, beugte sich über sie.
    Sie setzte zum Sprechen an, aber die Worte wollten nicht kommen. Stattdessen imitierte jemand mit harschen Lauten ihre Stimme, jemand, der neben ihr zu stehen und
    genau zu wissen schien, was sie sagen wollte. »Wo bin
    ich?«
    »Im Aufwachraum. Können Sie sich an irgendetwas erin-
    nern?«
    »Ich weiß, dass ich Sie angerufen habe. Wir sprachen da-rüber, was Sie mit mir vorhätten.«
    »Und hinterher?«
    »Nichts. Was ist mit meiner Stimme?«
    »Wir lesen mit einem Trawl aus, was Sie sagen wollen.
    Erschrecken Sie nicht; das ist nur vorläufig.«
    Ganz allmählich kam Aumonier zu Bewusstsein, dass sie
    unterhalb des Halses kaum Empfindungen hatte. Sie konnte die Augen bewegen, aber viel mehr auch nicht. Ihr Kopf war fixiert, er ließ sich nicht einmal zur Seite drehen.
    »Zeigen Sie mir, was Sie getan haben, Doktor.«
    »Es war ein ziemlich drastischer Eingriff, aber machen
    Sie sich keine Sorgen. Ehe Sie sich's versehen, sind Sie wieder auf den Beinen.«
    »Ich will es selbst sehen«, beharrte sie mit einer Entschiedenheit, die noch in der simulierten Stimme zu hören war.

    Demikoff winkte jemandem, der seitlich von ihm stand.
    Eine behandschuhte Hand reichte ihm einen Spiegel. Er
    hielt ihn Aumonier so vor, dass sie ihr Gesicht betrachten konnte. Sie sah, dass es wie in einem gepolsterten Schraubstock steckte.

»Ich habe seit elf Jahren nicht mehr in einen Spiegel geschaut.

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