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Aurora

Aurora

Titel: Aurora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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und Beinen hängen. Die ärmellose
    schwarze Tunika war vom Nacken bis zum Steißbein aufge-
    rissen. Als sie sich noch etwas weiter von ihm abwandte, sah er, dass auch ihre Haut durchtrennt war. Das Rückgrat grinste weiß durch Fleisch und Muskeln. Die Raupe hatte ihre nadelspitzen Füße bis in ihr Rückenmark gebohrt.
    Plötzlich brach sie zusammen.
    Dreyfus lag vollkommen still, er war wie gelähmt vor Entsetzen. Der Uhrmacher musste Saavedra gefunden und ihr
    durch Folterung oder mit irgendwelchen Tricks die Grund-züge von Dreyfus' Mission entlockt haben. Dann hatte
    er sie aufgeschlitzt und zu einer lebenden Marionette gemacht.
    Jetzt brauchte er die Marionette nicht mehr. Saavedra
    wand sich in Krämpfen wie ein Fisch auf dem Trockenen.
    »Du bist hier«, sagte Dreyfus, als er endlich die Kraft dazu fand. »Du bist bei mir, nicht wahr? In diesem Raum. Du bist also doch entkommen.«
    Das Summen war die ganze Zeit schon da gewesen, aber
    erst jetzt konnte es sich gegen das Dröhnen in seinen Ohren vollends durchsetzen. Er drehte den Kopf um eine Winzigkeit und schaute auf die andere Seite des Bettes, gegenüber der Stelle, wo Saavedra gestanden hatte. Dieser Teil des Raumes lag im Dunkeln, dennoch konnte er dort eine wartende Gestalt unterscheiden. Sie war größer als ein Mensch und konnte unter der niedrigen Decke nur gebückt stehen.
    Der rote Schein beleuchtete schlaglichtartig einen Rumpf aus flüssigem Chrom, eine riesige Metallhand mit sichelförmigen Fingern und einen riesigen, augenlosen Schädel in Hammerform. Das Summen wurde stärker. Dreyfus erschien es wie der bedrohlichste Laut im ganzen Univer-
    sum.
    »Was hast du mit mir vor?«, fragte er, ohne eine Antwort zu erwarten.
    Doch der Uhrmacher sprach zu ihm. Seine Stimme war
    überraschend sanft, überraschend väterlich. »Es war sehr mutig von dir, hierher zu kommen und nach mir zu suchen.
    Hättest du dir vorgestellt, dass es so enden würde?«
    »Ich wusste nicht, was mich erwartete. Aber ich hatte
    keine andere Wahl.«
    »Du wolltest mich überreden, euch zu helfen?«
    Dreyfus fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Sie fühlten sich strohtrocken an. Sein Herz hämmerte, als wollte es ihm die Brust sprengen. »Ich wollte dir nur zeigen, wie die Dinge liegen.«
    »Mit Aurora?«
    »Ja. Sie wird nicht aufhören. Du bist der Einzige, der es mit ihr aufnehmen kann. Deshalb muss sie dich zerstören.
    Und früher oder später wird ihr das auch gelingen. Es sei denn, du zerstörst sie zuerst.«
    »Aurora wird euch alle ermorden.«
    »Ich weiß.«
    »Warum hältst du mich für besser?«
    »Weil du im SIKM nicht alle getötet hast.«
    Aus der Stimme des Uhrmachers klang Belustigung. »Und
    das macht dir Hoffnung? Deshalb hältst du mich für das
    kleinere Übel. Deshalb glaubst du, ich wäre weniger böse?«
    »Ich halte dich nicht für böse. Ich denke, du bist wütend, ein Getriebener, ein Racheengel. Man hat dich verletzt, und jetzt möchtest du etwas von deinen Schmerzen zurückge-ben. Du bist vom Hass verdorben, aber ich glaube nicht, dass dich das von Grund auf böse macht.«
    Der Uhrmacher verrenkte sich noch mehr, knickte in der
    Mitte ein und senkte Oberkörper und Kopf, bis er Dreyfus nur noch um einen Meter überragte. Der Präfekt sah immer noch nicht mehr als Schlaglichter, glatte Metallkanten, in denen sich das rote Licht spiegelte. Der Kopf, der ihm eben noch hammerförmig erschienen war, hatte nun die Form
    eines Ambosses.
    »Du maßt dir an zu wissen, was ich bin?«
    »Ich weiß, wer du bist«, sagte Dreyfus. Er hatte das Ge-fühl, jedes Wort könnte sein letztes sein. »Ich weiß, was man dir angetan hat, Philip.«
    Der Uhrmacher antwortete nicht. Aber plötzlich sauste
    etwas durch die Luft, einer seiner Arme bewegte sich so schnell, dass nur ein sichelförmiger Fleck aus Dunkelheit und Schatten zu erkennen war. Der Arm peitschte heran
    und berührte Dreyfus' Stirn. Seine Haut wurde eiskalt. Eine warme Flüssigkeit rieselte ihm in ein Auge und verursachte einen stechenden Schmerz.
    »Ich weiß, was man dir angetan hat«, wiederholte er.
    »Man hat dir das Gehirn gebraten, um deine Alpha-Simulation zu erstellen. Dann hat man deinen Körper in einen Fischteich geworfen, damit es so aussah, als hättest du Selbstmord begangen. Diese Leute wollten deine Alpha-Muster nur aus einem Grund, Philip. Nicht, um dich un-
    sterblich zu machen, sondern um damit eine Maschine zu
    programmieren, die in den Schleier fliegen konnte, ohne zerrissen

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