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Aurora

Aurora

Titel: Aurora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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Ihnen schon einmal versichert. Drehen Sie so viele Steine um, wie Sie nur wollen. Ich stehe voll und ganz hinter Ihnen.«

    Vor Thalia breitete sich ein roter Lichtschein aus, in dem die Hundepeitsche zappelte wie ein schwarzer Kringel. Der Servomat, der sie begleiten sollte, war unterwegs liegen geblieben, hatte ihr aber noch eine klare Wegbeschreibung mitgegeben. Jetzt beschleunigte sie ihre Schritte, obwohl der schwere Zylinder an ihrem Handgelenk zog, und betrat schließlich einen großen Raum, der einer Arena nicht un-
    ähnlich war. Sie stand auf einer Art Galerie, die Wand gegenüber war mindestens hundert Meter entfernt und in
    unzählige kastenförmig übereinander gestapelte Nischen
    unterteilt. Mehr konnte sie nicht sehen, der blutige Schein war nicht hell genug. Nach oben hin war alles schwarz, so dass sie auch nicht abschätzen konnte, wie weit die Decke entfernt war.
    Neben ihr schoss die Hundepeitsche aufgeregt hin und
    her, um ihre neue Umgebung auszuloten.
    »Ganz ruhig«, flüsterte sie. »Alarmbereitschaft Stufe Eins beibehalten.«
    Und dann erschallte wie aus dem Nichts eine Stimme.
    »Willkommen, Thalia. Hier spricht Orson Newkirk. Wir bedauern, dass Sie mit dem Servomaten Unannehmlichkeiten
    hatten.«
    Auch sie erhob ihre Stimme. »Ich kann Sie nicht sehen,
    Bürger Newkirk.«
    »Ich muss mich entschuldigen. Es ist der Gipfel der Un-
    höflichkeit, seine Gäste nicht persönlich zu empfangen, aber ich bin nun schon so lange ständig angeschlossen,
    dass eines der Trennventile Schwierigkeiten machte. Aber jetzt ist wieder alles in Ordnung, und ich befinde mich bereits auf dem Weg nach unten. Ein Sekündchen noch, dann bin ich bei Ihnen.«
    »Auf dem Weg nach unten?«, fragte sie und hob den Kopf.
    »Wie weit sind Sie denn über uns informiert, Thalia?«,
    fragte er in neckischem Ton.
    »Ich weiß, dass Sie bisher keinen Ärger mit Panoplia hatten«, sagte sie. Das war keine Antwort, aber sie hoffte, damit ihre Unwissenheit verbergen zu können.
    »Das freut mich. Dann haben Sie zumindest nichts Nega-
    tives über uns gehört.«
    Thalia bekam allmählich einen steifen Hals. »Gäbe es
    denn etwas?«
    »Wir haben unsere Kritiker. Sie finden die Abstraktionsstufe, die wir erklommen haben, aus irgendwelchen Grün-
    den unnatürlich oder unmoralisch.«
    »Ich bin nicht hier, um über Sie zu richten. Ich soll nur eine Korrektur an Ihrer Software vornehmen.«
    Jetzt hatte sie etwas entdeckt: ein Lichtfünkchen, das aus der Dunkelheit zu ihr herunterschwebte. Als Orson Newkirk vollends in ihr Blickfeld kam, sah Thalia, dass er sich in einem rechteckigen Glaskasten befand, der an einer kaum sichtbaren Leine abgelassen wurde. Der Kasten war nicht viel größer als ein Koffer.
    Eine Büste, dachte sie: ein menschlicher Kopf, der halbe Oberkörper, das war alles. Unter den Rippen war Schluss.
    Weder Arme noch Schultern. Nur Kopf und Brustkorb. Der
    Torso steckte in einem ringförmigen Lebenserhaltungssystem. Rücken, Hals und Kopf wurden von einer gepolsterten Lehne gestützt.
    »Sie sagen, wir wären nur Köpfe«, plauderte Newkirk.
    »Dabei ist das vollkommen falsch! Einen Kopf am Leben
    zu erhalten ist ein Kinderspiel, aber ohne die hormonelle Umgebung des übrigen Körpers bekommt man nicht an-nähernd die strukturelle Dichte eines menschlichen Be-
    wusstseins. Wir sind Geschöpfe der Chemie, nicht der Ver-kabelung. Deshalb behalten wir so viel wie möglich und
    werfen alles ab, was wir nicht brauchen. Sehen Sie, ich habe noch meine Drüsen. Drüsen sind das Entscheidende. Die
    Drüse macht den Menschen.«
    »Alle Drüsen?«, fragte Thalia mit einem Blick auf den verkürzten Torso.
    »Man kann vieles verlegen und umleiten, Thalia. Öffnen
    Sie mich, und Sie werden feststellen, dass der Raum sehr effektiv genützt wurde.«
    Der Kasten kam so zum Stehen, dass sich Newkirks Kopf
    auf gleicher Höhe mit Thalias Augen befand.
    »Ich verstehe nicht«, sagte sie und dachte an die muffigen leeren Räume, durch die sie gegangen war. »Warum haben
    Sie sich das angetan? Es kann doch nicht daran liegen, dass Sie Platz brauchten.«
    »Es geht nicht um den Platz. Es geht um die Ressourcen.«
    Newkirk lächelte. Er hatte das Gesicht eines jungen Mannes, nicht unattraktiv, wenn man alles andere übersah. Die Augen waren weiße Kugeln, nur die Pupille saß als winziger Punkt in der Mitte. Sie zitterten unentwegt im koordinierten Rhythmus eines Menschen, der sich im REM-Schlaf be-
    fand.
    »Ressourcen?«, fragte

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