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Aurora

Aurora

Titel: Aurora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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sich.«
    Thalia nickte und gab dem Votenprozessor den Befehl, die Rekonstruktion einzuleiten. »Abstraktion wird in zehn Sekunden unterbrochen«, teilte ihr die Säule mit. »Wiederaufnahme laut Berechnung in dreihundertvierzig Sekunden.«
    »Verbleibende Zeit für das Fenster?«
    »Zugriffsfenster wird in dreihundertvierundvierzig Se-
    kunden geschlossen.«
    »Sie kalkulieren knapp«, bemerkte Newkirk.
    Thalia wollte antworten, sah jedoch noch rechtzeitig,
    dass sie sich das sparen konnte. Das Gesicht des Mannes war maskenhaft starr geworden, die Augen zuckten nicht
    mehr. Er sah aus wie tot; genauer gesagt, er war tatsächlich zu einer Büste geworden.
    Und so sahen sie alle aus, dachte Thalia. Sämtliche Personen im Karussell New Seattle-Tacoma, eine Million zweihundertvierundsiebzigtausendsechshundertachtzehn an
    der Zahl, hingen sozusagen in der Luft, abgeschnitten von ihrer abstrakten Realität, der einzigen, die ihnen etwas bedeutete. Ein Blick auf Newkirk genügte, um zu wissen, dass in seinem Schädel keine Denkprozesse abliefen. Wenn er
    überhaupt noch ein Bewusstsein hatte, dann war es ausgesperrt, wartete irgendwo außerhalb und klopfte an eine Tür, die noch weitere fünf Minuten unerbittlich verschlossen bleiben würde.
    Thalia war mutterseelenallein in einem Raum mit mehr
    als einer Million anderer Wesen.
    »Aktualisierung«, verlangte sie.
    »Rekonstruktion verläuft planmäßig. Geschätzter Zeit-
    raum bis zur Wiederaufnahme der Abstraktion noch zwei-
    hundertneunzig Sekunden.«
    Thalia ballte die Fäuste. Das würden die längsten drei Minuten ihres Lebens werden.
    »Leider muss ich Sie noch einmal belästigen«, sagte Dreyfus, als die Beta-Kopie von Delphine Ruskin-Sartorius im Vernehmungsraum wiedererstand. »Aber ich dachte, Sie
    könnten mir vielleicht noch ein paar Fragen beantworten.«

    »Wie Sie bereits überdeutlich zum Ausdruck gebracht
    haben, stehe ich zu Ihrer Verfügung.«
    Dreyfus lächelte kurz. »Wir sollten es uns nicht schwerer machen als nötig, Delphine. Wir mögen über die Heiligkeit von Beta-Simulationen nicht einer Meinung sein, aber wir sind uns doch einig, dass ein Verbrechen stattgefunden hat.
    Ich brauche Ihre Hilfe, um der Sache auf den Grund zu
    gehen.«
    Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt, die silbernen Armbänder hingen von ihren Handgelenken. »Damit
    sind wir unweigerlich wieder bei der leidigen Frage nach meiner Kunst.«
    »Jemand wurde aus irgendeinem Grund so wütend, dass
    er Ihr Habitat zerstörte«, fuhr Dreyfus fort. »Ihre Kunst könnte etwas damit zu tun gehabt haben.«
    »Sie wollen wieder auf das Eifersuchtsmotiv hinaus.«
    »Ich frage mich, ob es nicht mehr war als das. Sie könnten in ein politisches Minenfeld getreten sein, als Sie sich Philip Lascaille zum Thema wählten.«
    »Ich kann Ihnen nicht so ganz folgen.«
    »Nehmen Sie es mir nicht übel, aber ich habe mir Ihren
    künstlerischen Werdegang angesehen, und bis vor kurzem
    wirkten Sie noch eher im Verborgenen. Dann plötzlich -
    nun, ich will nicht sagen, Sie wären über Nacht berühmt geworden, aber ganz plötzlich redete alle Welt über Ihre Arbeiten, und Ihre Werke wurden für einen ordentlichen Batzen Geld an den Mann gebracht.«
    »So etwas gibt es. Deshalb geben wir den Kampf auch
    niemals auf.«
    »Trotzdem scheint man erst in dem Moment auf Ihre Ar-
    beiten aufmerksam geworden zu sein, als Sie mit der Lascaille-Serie anfingen.«
    Delphine zuckte die Achseln, eine Geste, die nichts verriet. »Ich habe oft an thematischen Serien gearbeitet. Dies ist nur die letzte.«

    »Aber diese Serie brachte die Menschen dazu, sich Ihre
    Arbeiten anzusehen, Delphine. Irgendetwas ist passiert, warum auch immer. Warum haben Sie sich gerade Lascaille als Thema ausgesucht?«
    »Ich weiß nicht, worauf Sie abzielen, Präfekt. Lascaille und sein Schicksal sind Teil unserer gemeinsamen Geschichte. Von seinem Flug zum Schleier ließen sich Millionen von Künstlern inspirieren. Finden Sie es so verwun-
    derlich, dass auch ich diese zugleich tragische und allseits bekannte Figur in mein Werk aufnahm?«
    Dreyfus machte ein skeptisches Gesicht. »Aber es ist doch sehr lange her, Delphine. Wir reden hier von der Epoche der Achtzig. Diese Wunden sind längst verheilt.«
    »Was aber nicht heißt, dass das Thema niemanden mehr
    berühren könnte«, konterte sie.
    »Das will ich nicht bestreiten. Aber haben Sie schon einmal daran gedacht, dass Sie vielleicht dabei etwas aufge-wühlt haben, was man besser

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