Aurum und Argentum (2) - Die magischen Avatare (German Edition)
„Du hast es tapfer aufgenommen. Nichts anderes habe ich erwartet. So tapfer wie deine Mutter. Dein Vater war wie gesagt auch ein strammer Bursche, er führte die Herde einst an und verteidigte sie gegen Angreifer. Dein Vater und dein Onkel kannten sich von früh auf, sie waren die besten Kumpel, vereinzelte Rangkämpfe gehörten dazu.“ Im Hintergrund erhoben sich zwei junge Kentauren wie auf’s Stichwort auf ihren Hinterbeinen und begannen mit den Vorderhufen nach einander zu treten. Früh übte sich, was ein Pascha werden wollte.
„Ja, sie gingen durch dick und dünn. Nach dem tragischen Tod deines Vaters übernahm dann dein Onkel die Führung der Herde. So lange, bis auch ihn ein gräulicher Tod ereilte. Seitdem bin ich die Anführerin.“ Nachdenklich sah Leon sie an:
„All die langen Jahre, in denen ich von einem Heim zum nächsten gepilgert bin, habe ich mich gefragt, warum meine Familie mich nicht wollte.“
„Herzchen, wir hätten dich gerne behalten“, antwortete seine Tante darauf, „aber du warst noch ein Säugling, kein halbes Jahr alt und dann wurde Camilla geboren. Es ging einfach nicht.“ Sie schwieg einen Moment lang, sah sich dann aber gezwungen, etwas weiter auszuholen. „Dein Onkel arbeitete damals hart auf unseren Feldern, ich half wo ich konnte und beseitigte mit den anderen Frauen die Schäden, die der Drachenangriff mit sich gebracht hatte. Vieles war den Flammen zum Opfer gefallen. Ich konnte nicht auch noch auf deine Cousine und dich gleichzeitig Acht geben, das war unmöglich.“
„War ich so schwierig?“, murmelte Leon nebenbei.
„Du warst verstört und schriest bereits, wenn du nur eine Kerze zu Gesicht bekamst. Deine Feuerphobie war grenzenlos. Eigentlich hatte der Drache es auf junge Kentauren abgesehen, hätten sich deine Eltern nicht vor dich geworfen, wärst du sein Opfer gewesen.“ Nun dauerte es eine Zeit lang, bis Leon das verdaut hatte, Flux starrte derweil ins Leere, nie zuvor hatte er gespürt, dass das Leben derart ungerecht sein konnte.
„Wir hätten dich gerne bei uns wohnen lassen und wir behielten dich, so lange wie es ging. Du warst zu jung, um dich heute an diese Zeit zu erinnern, aber ich sehe es noch deutlich vor mir. Es war kaum zu ertragen, dich damals derart verängstigt zu sehen. Mir brach es das Herz. Ich suchte eine Kräuterhexe auf, doch sie konnte dir nicht helfen, das Trauma saß zu tief. Hin- und hergerissen war ich zwischen der Arbeit auf dem Feld, dem Wiederaufbau der Hütten, meiner Tochter und dir. Mein Mann versuchte zu helfen, doch keiner vermochte es, dich zu trösten. In dieser schweren Zeit nun erschien ein wandernder Magier, reich an Jahren und Weisheit. Viele Tage verweilte er bei uns und tatsächlich vermochte er es durch Hypnose, einen Teil deiner Ängste zu bändigen. Aber es lag nicht in seiner Macht, dich vollends zu kurieren.“ Leon nickte verständig, daher rührte also seine Furcht vor dem Feuer. Nun wusste er auch endlich, was seine Albträume zu bedeuten hatten: Sie waren verschüttete Erinnerungen an einen unheilvollen Tag.
„Du bliebst trotzdem ein furchtsames Kind. Du hast mehr Zuwendung und Aufmerksamkeit benötigt, als wir dir geben konnten. Schlussendlich haben wir dich daher in die Hände eines Waisenhauses gegeben, in der Hoffnung, man würde eine gute Familie für dich finden. Vielleicht war es die falsche Entscheidung, dann möchte ich dich heute um Vergebung bitten. Doch damals sahen wir keinen anderen Weg.“ Nachdenklich blickte Brunhilde zu ihrem Neffen, dieser nickte stumm. Er war seiner Tante nicht böse. Sein Leben wäre sicher anders verlaufen, wäre er hier aufgewachsen. Aber ob er dann wohl derselbe sein würde? Außerdem hätte er wohl niemals Flux kennengelernt und möglicherweise wäre Morgana auch nicht auf die Idee gekommen, ihn auszuerwählen.
„Auch wenn du dich nicht mehr erinnerst, so haben wir dich doch einige Male im Waisenhaus besucht, bis zu dem Tag, an dem der Drache erneut angriff und die Herde beschloss, weiterzuziehen. Nach langer Reise stießen wir auf eine andere Gruppe von Kentauren, denen wir uns anschlossen. Sie lebten seit Generationen in der Nähe des Berges und der Bes, von denen ihr erzählt habt. Nach einigen Rangkämpfen übernahm mein Mann die Führung der kompletten Herde. Wir wurden erst durch die Dämonen von dort vertrieben. Wir haben dich nie vergessen, Leon, das musst du uns glauben. Doch der Weg war zu weit, um dich noch zu besuchen. Durch Umwege erfuhren
Weitere Kostenlose Bücher