Aus Dem Dunkel
also, dass er aufgehört hatte, ihre Mutter zu küssen und ihr Aufmerksamkeit zu schenken. Er hatte all seine Liebe einer anderen Frau gegeben.
Wann immer er sich mal zu Hause aufgehalten hatte, war er zerstreut und leicht reizbar gewesen. Mallory war von ihm nur beachtet worden, wenn sie ihre Aufgaben im Haus nicht erfüllt oder sich auf andere Art und Weise danebenbenommen hatte. Oft hatte er sie fast zum Weinen gebracht, weil ihm nicht aufzufallen schien, wie viel Mühe sie sich gab, sondern nur, dass sie versagte.
Dann hatte die Navy ihr und Helen mitgeteilt, das Gabe vermisst wurde – wahrscheinlich tot war – , und Mallory hatte versucht, seine Abwesenheit positiv zu sehen. Er war ohnehin nur selten da gewesen. Jetzt brauchte sie sich wenigstens nicht mehr auf den Kopf zu stellen, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen.
Andererseits hatte es sich irgendwie falsch angefühlt. Ohne ihn war alles so leer. Und dann war da immer diese schreckliche Ungewissheit gewesen und das Gefühl, etwas ganz Besonderes verloren zu haben.
Sie hatte nicht gewollt, dass er tot war.
Und nun wollte sie nicht, dass er wieder ging. Schon gar nicht jetzt.
Aber wie sollte sie es anstellen, dass er bei ihnen blieb, wenn ihre Mom ihm nicht verzieh oder sich nicht wieder in ihn verliebte? Sie blinzelte, weil sie merkte, wie ihr die Tränen kamen. Daddy, geh nicht weg , flehte sie im Stillen. Sie schien nur noch von einem Gedanken erfüllt zu sein. Daddy, Daddy.
Er sah so verletzlich aus, wie er da auf der Couch lag. Sie hatte ihn noch nie zuvor so gesehen. Durch die unterdrückten Tränen hatte sie einen Kloß im Hals.
Wenn er sie diesmal für immer verließe, würde sie außer Reggie niemanden mehr haben. Dieser Gedanke war so deprimierend, dass ihr doch eine Träne aus dem Augenwinkel quoll. Warm rann sie über ihre Wange.
Reggie war klug und witzig, doch auch so unberechenbar wie ein Tornado, der jederzeit die Richtung wechseln und alles mit sich reißen konnte. In diesem Chaos wollte sie sich nicht verlieren. Aber wenn Gabe nicht bleiben konnte, welchen Unterschied machte es schon?
Wütend auf sich selbst, wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht und rappelte sich auf. Rumzujammern nützte meistens sowieso nichts. Nimm es einfach hin , hatte Dad immer gesagt. Das Leben stinkt. Gewöhn dich dran. Er hatte ihr viele solcher Weisheiten mitgegeben, und sie hatte sich jede einzelne gemerkt.
Sie sah den Hund an und klopfte gegen einen ihrer Oberschenkel, damit er mit zur Tür kam. Dann nahm sie ihn an die Leine und verließ das Haus. Später würde sie zu Reggie rübergehen. Seine Eltern hatten sich vor drei Jahren getrennt, und er hatte es überlebt. Sie nahm an, dass es auch bei ihr so sein würde.
7
Helen machte ihm die Hölle heiß, weil er den Jaguar genommen hatte.
»Das nächste Mal fragst du mich einfach, ob ich dich fahren kann«, schimpfte sie, als sie auf dem Weg zur Oceana Naval Air Base waren – zu spät, denn Gabe hatte bis Viertel vor vier geschlafen. »Was wäre passiert, wenn du eingeschlafen oder gegen einen Baum gefahren wärst? Du weißt, dass du dich an ein paar Regeln halten musst, Gabriel. Dies ist der einzige Wagen, der im Moment noch fährt, und ich kann es mir nicht leisten, ihn in die Werkstatt zu bringen.«
Sie nannte ihn immer nur dann Gabriel, wenn sie sauer auf ihn war. Er ließ die Standpauke über sich ergehen, weil sie ihm die Illusion verschaffte, dass er Helen wichtig war. Und abgesehen davon hatte sie absolut recht. Regeln zu brechen, war schon immer seine leichteste Übung gewesen. Er hatte die Aufgabe, seine Männer aus ausweglosen Situationen herauszuführen, und das konnte er verdammt gut. Aber im Moment gehörte er nicht mehr zu den SEAL s. Er war nur ein gescheiterter Soldat, der immer wieder Schmerzen hinter dem rechten Auge verspürte, die einfach nicht weggehen wollten.
Und nach dem, was er Helen am vergangenen Abend angetan hatte, war die Abreibung mehr als gerecht. Wut siegte über Gleichgültigkeit, vermutete er. Also hielt er den Mund und ließ sich zurechtstutzen.
Gleichzeitig hielt er die Augen offen und machte sich wieder mit der Gegend vertraut. Die Straße, die sie entlangsausten, führte zwischen großen Weideflächen hindurch, aber Virginia Beach wuchs in einem derart atemberaubenden Tempo, dass bald auch noch der letzte Acker als Bauland ausgewiesen werden würde.
»Wo ist Mallory?«, erkundigte er sich, als Helen ihre Tirade schließlich beendet hatte.
Sie
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