Aus Dem Dunkel
gegeben hatte, schloss er auf. Priscilla stürmte ihm vor Freude bellend entgegen.
»Mal?«, rief er.
Keine Antwort.
Er ging in die Küche und stürzte ein Glas Wasser hinunter. Himmel, war er müde. Aber zuerst musste er telefonieren, Helen fragen, wo Mallory sein könnte. Er suchte die Nummer des Fitnesszentrums heraus und ließ sich mit seiner Frau verbinden.
»Hier ist Helen.« Durchs Telefon klang ihre Stimme noch krächzender.
»Ich bin’s, Gabe«, sagte er.
»Wo bist du?«
»Zu Hause.«
»Wie bist du so schnell nach Hause gekommen?«
»Ich habe mir den Jaguar ausgeborgt. Ich hole dich um halb vier ab, aber ich möchte erst wissen, wo Mallory ist.«
»Du sollst doch nicht Auto fahren«, sagte sie und klang verärgert. »Warum suchst du nach Mallory?«
Warum? »Sie ist ein Teenager«, entgegnete er. »Sie ist sauer. Herrgott, Helen, zähl doch mal eins und eins zusammen.«
Sie schwieg einen Moment lang, dann sagte sie: »Wahrscheinlich ist sie im Freizeitzentrum und kickert.«
»Würdest du bitte für mich nachsehen?«
»Okay«, erwiderte sie und klang verwirrt. »Wenn du nichts mehr von mir hörst, ist sie dort.«
»Danke«, sagte er und rieb sich das rechte Auge. »Ich muss … ich muss mich einen Augenblick hinlegen. Wir sehen uns … um halb vier. Okay?«
»Leg dich hin«, erwiderte sie. »Du klingst todmüde.«
»Mhmm. Bis dann.« Er legte den Hörer auf die Telefonstation und ging direkt hinüber zum Sofa im Wohnzimmer, wo er mit dem Gesicht voran in die Kissen kippte. Es gelang ihm gerade noch, seine Turnschuhe abzustreifen, schon war er eingeschlafen. Ein paar Minuten später klingelte das Telefon, aber er hörte es nicht mehr.
Nach einer Stunde fand Mallory ihn schlafend auf der Couch und beruhigte den bellenden Hund. Dass Gabe trotz des Trubels um sich herum nicht einmal zuckte, machte ihr Sorgen.
»Braves Mädchen. Sch!«, sagte sie leise zu Priscilla und tätschelte ihr den Hals. »Wir gehen gleich Gassi.« Sie näherte sich Gabe so vorsichtig wie möglich, die Augen vor Anspannung weit aufgerissen. Sie kannte es nicht von ihm, dass er wie ein Toter schlief. Obwohl er das Gesicht zur Raummitte gewandt hatte, zuckte er nicht einmal mit den Augenlidern.
Mallory blieb kurz vor ihm stehen und lauschte. Er schlief ganz ruhig, aber sie konnte ihn nun zumindest atmen hören. Erleichtert darüber, dass er lebte, ließ sie sich auf den Teppich sinken.
Der Hund wollte sie ablecken, deswegen legte sie ihm einen Arm um den Hals, ohne jedoch ihren Blick von Gabes Gesicht zu wenden. Unwillkürlich musste sie daran denken, was im Cardio-Bereich passiert war, wie sich die Frau an Gabe rangeschmissen hatte. Mallory sog scharf die Luft ein. Die Vorstellung daran, dass er ihre Mom betrogen hatte, versetzte ihr erneut einen Stich ins Herz. Wie muss Mom sich erst fühlen , dachte sie.
Und wie hatte Dad ihr das nur antun können? Ihnen antun?
Sie musterte ihn. Er hatte immer schon ein tolles Gesicht gehabt. Alle Mädchen in der Schule waren in ihn verknallt gewesen. Mal wusste, dass er gut aussah. Aber ihr gefiel sein Gesicht jetzt besser. Seine Mimik verriet nun Regungen, die sie niemals zuvor bei ihm gesehen hatte: Humor, Sorge, Verwunderung … Sehnsucht .
Er interessierte sich nicht für diese andere Frau, redete sie sich ein. Er wollte Mom. Sie erinnerte sich an die Leidenschaft in seinem Blick, als sie am Abend zuvor gemeinsam gelesen hatten. Er hätte ihre Mom am liebsten sofort gepackt und ins Schlafzimmer getragen. Zumindest war es ihm gelungen, ihr einen Kuss zu stehlen.
Während sie so darüber nachdachte, fühlte sich Mallory ein wenig besser. Nur kam es jetzt darauf an, dass auch Helen ihm verzieh. Ihre Mutter hatte nicht viele Worte darüber verloren, aber es war offensichtlich, dass die Dinge nun anders lagen. Sie hatte Gabe nicht wie ihren lang vermissten Ehemann wieder bei sich aufgenommen, sondern ihn ins Arbeitszimmer ausquartiert, und das mit der lahmen Erklärung, er sei, nach alldem, was er durchgemacht habe, vielleicht gefährlich. Früher war sie immer diejenige gewesen, die Gabe aus seinem Schneckenhaus gelockt und um seine Aufmerksamkeit gebuhlt hatte. Doch nun ignorierte sie ihn.
Mallory brauchte kein Genie zu sein, um zu erkennen, was los war. Ihre Mutter wollte diese Ehe nicht mehr. Und nun wusste Mallory auch, warum. Neben der Tatsache, dass ihr Dad nie zu Hause gewesen war und die ganze Zeit über nur gearbeitet hatte, war er auch noch fremdgegangen. Kein Wunder
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