Aus dem Leben eines plötzlichen Herztoten - Tagebuch eines Tagebuchschreibers
vierfach gefaltet, als Ersatzkreuzband eingesetzt und mit selbstauflösenden Schrauben befestigt. Früher hätte man das in meinem Alter nicht mehr gemacht, aber, und der Oberarzt sah mir fest in die Augen, ich hätte eine Lebenserwartung von 85, und da könnte sich das schon lohnen.
Ich wundere mich, dass mein Körper eine Sehne enthält, die vollkommen nutzlos ist. Nur weil die Mediziner keine Ahnung haben, dürfen sie das Ding doch nicht einfach abschneiden und viermal falten. Diese Sehne könnte doch beispielsweise der Sitz der Seele sein. Will ich denn wirklich meine Seele vierfach gefaltet am Knie festgeschraubt haben? Wie soll ich dem Teufel gegenübertreten, wenn er mir für meine Seele einen anständigen Preis bietet und ich muss ihm gestehen, dass die jetzt als Ersatzgummiband in meinem rechten Knie tätig ist?
Mein Knie sehe ich jedenfalls mit vollkommen anderen Augen. Eigentlich sehe ich nur noch mein Knie, ich führe ein kniezentriertes, ein kniegefälliges Leben. Die Knievernachlässigung, ja, die Knieverwahrlosung der letzten Jahre ist längst einem Kniekult gewichen. Morgens überprüfe ich als erstes, ob mein Knie gut geschlafen hat. Dann stelle ich mich vor den Spiegel und vergleiche meine Knie. Saint-Exupéry lässt seinen kleinen Prinzen sagen, dass man nur mit dem Herzen gut sieht. Ich aber behaupte, man sieht nur mit den Knien gut. Vor allem sieht man gut, was unter dem Tisch passiert.
Raushänger
Bei einer kurzen Inspektion meines Wohnviertels entdecke ich drei Deutschlandfahnen und fünf schwarzrotgoldene Außenspiegelflaggen. Man fragt sich unwillkürlich, was das wohl für Menschen sind, die hier so dauerhaft ihrer patriotischen Begeisterung Ausdruck verleihen und warum sie die Fahne so lange raushängen lassen. Die Fußballweltmeisterschaft ist seit Monaten vorbei. Der Trainer hat das Bundesverdienstkreuz bekommen, die Mannschaft wurde für ihre Tapferkeit gegen den Feind mit dem Silbernen Lorbeerblatt ausgezeichnet. Das sind natürlich gute Gründe für das Fahneraushängenlassen. Außerdem spielen ja ständig irgendwo irgendwelche deutschen Sportler um Weltmeisterschaftsehren. Trotzdem macht mich der Dauerbetrieb der Fahne nachdenklich. Sind das Nationalisten? Wollen sie bei Google Street View besonders auffallen? Oder handelt es sich um ehemalige DDR-Bürger, die sich mit altbewährten Mitteln zur neuen Heimat bekennen wollen?
Verliert die Fahne nicht nach einiger Zeit an Wirkung? Auf jeden Fall verliert sie an Leuchtkraft, die Farben sind schon sehr ausgeblichen, die glühend heißen Sommertage haben der deutschen Fahne zugesetzt, die wahrscheinlich in China produziert wurde. Was nutzt unserem Land dieses Bekenntnis zur Ausgeblichenheit? Geht da nicht eine völlig falsche Signalwirkung von den traurigen Fahnen aus?
Eigentlich bin ich aber davon überzeugt, dass das völlig müßige Überlegungen sind. Wir haben es ganz einfach mit schlampigen, leicht antriebsschwachen Bürgern zu tun. Die es einfach nicht mehr schaffen, reinzuholen, was sie mal rausgehängt haben. Es sind dieselben, die ihre fassadenkletternden Weihnachtsmänner bis weit nach Ostern an der Hauswand lassen. Und dann lohnt es sich natürlich auch nicht mehr, den Weihnachtsmann abzumontieren, weil Weihnachten praktisch schon wieder vor der Tür steht. Ähnlich ist es mit der Deutschlandfahne, denn nach der WM ist immer vor der EM. Vielleicht sollte man speziell für diesen Kundenkreis eine fassadenkletternde Deutschlandfahne anbieten oder sogar einen schwarzrotgoldenen Deutschlandmann?
2010
Oktober
Alte Bekannte
In letzter Zeit erreichten mich verstörende Emails. Es waren insgesamt sechs und es ging darin um Isabel, Ida, Elsa, Delia, Josephine und Carolyn. Sie alle waren wohl mal in »unserer Firma« oder »unserem Büro« beschäftigt und sie alle hatten einen tollen Arsch. Das behaupteten zumindest die Absender dieser Botschaften. Und sie sagten, dass sie jetzt Fotos und Videos von diesen Frauen gefunden hätten. Es ist sehr lange her, dass ich in einem Büro gearbeitet habe. Dort gab es, wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, nur zwei Frauen, und die eine hat inzwischen eine Geschlechtsumwandlung hinter sich.
Nun gut, ich nehme an, dass der Arsch bei so einem Umbau unverändert bleibt, aber davon abgesehen hießen die Frauen auch nicht Isabel, Ida, Elsa, Delia, Josephine und Carolyn, und ich kann mich auch nicht an ihren Arsch erinnern. Meine Kollegen von damals können das anscheinend. Vielleicht hatten
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